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Sehr geehrte Ärzte,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Steuer & Recht
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung ausgeschlossen hat. Dies hat die 3. Kammer des Ersten
Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem am 16.01.2013 veröffentlichten
Beschluss vom 12. Dezember 2012 entschieden. Die Belastung der Versicherten mit
Zusatzkosten steht in angemessenem Verhältnis zu dem unter anderem vom
Gesetzgeber verfolgten Ziel, die Kosten im Gesundheitswesen zu dämmen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
1. Der Beschwerdeführer ist gesetzlich krankenversichert und leidet an
einer chronischen Atemwegserkrankung. Der Hausarzt behandelt die
Atemwegserkrankung dauerhaft mit einem nicht verschreibungspflichtigen
Medikament, das sich seit 2004 nicht mehr im Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung befindet. Dem Beschwerdeführer entstehen nach seinem
Vortrag dadurch monatliche Kosten von 28,80 Euro. Die Krankenkasse lehnte die
beantragte Kostenübernahme trotz ärztlicher Verschreibung ab. Die Klage
hiergegen blieb in allen Instanzen erfolglos.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Revisionsurteil des
Bundessozialgerichts vom 6. November 2008 rügt der Beschwerdeführer die
Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger
Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen,
denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Soweit der Beschwerdeführer einen
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz rügt, ist die
Verfassungsbeschwerde nicht begründet.
a) Chronisch Kranken wird nicht - wie vom Beschwerdeführer gerügt - ein
Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit, hier der gesetzlichen
Krankenversicherung, auferlegt. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von
Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder
Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Zumutbare Eigenleistungen können
verlangt werden.
b) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach
Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für
den Gesetzgeber. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch
Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung
angemessen sind. Ungleich behandelt werden Versicherte, die
verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen, und Versicherte, die nicht
verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen. Die Verschreibungspflicht
knüpft an die Art des Medikaments an, so dass davon auszugehen ist, dass fast
alle Versicherten zu beiden Gruppen gehören. Der Gesetzgeber unterliegt
insofern keiner strengen Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG.
c) Die Ungleichbehandlung zwischen verschreibungspflichtigen und nicht
verschreibungspflichtigen Medikamenten, die für chronisch Kranke tatsächlich
höhere Zuzahlungen nach sich zieht, ist gerechtfertigt.
aa) Ob ein Medikament verschreibungspflichtig ist oder nicht,
entscheidet sich in erster Linie am Maßstab der Arzneimittelsicherheit.
Verschreibungspflichtige Arzneimittel sind stark wirksame Arzneimittel, von
denen eine Gesundheitsgefährdung ausgeht, wenn sie ohne ärztliche Überwachung
eingenommen werden. Von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geht
diese Gefährdung nicht aus; der rechtlich nicht gebundene Preis übernimmt hier
eine Steuerungsfunktion bei der Selbstmedikation. Der Gesetzgeber bedient sich
somit eines Kriteriums, das primär die Funktion hat, die Arzneimittelsicherheit
zu gewährleisten, auch mit dem Ziel, die finanzielle Inanspruchnahme der
gesetzlichen Krankenversicherung zu steuern. Insofern ist das Kriterium nicht
zielgenau. Es ist aber auch nicht sachwidrig, sondern zur Dämmung der Kosten im
Gesundheitswesen erforderlich und auch geeignet.
bb) Die Differenzierung ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig, denn
die Belastung mit den Zusatzkosten für nicht verschreibungspflichtige
Medikamente steht in einem angemessenen Verhältnis zu den vom Gesetzgeber mit
dieser Differenzierung verfolgten Zielen. Da das hier in Rede stehende
Medikament ohne ärztliche Verschreibung erhältlich ist und zur Gruppe der
Medikamente mit typischerweise geringem Preis gehört, ist es dem Versicherten
grundsätzlich zumutbar, die Kosten hierfür selbst zu tragen. Es ist auch nichts
dafür ersichtlich, dass die vom Beschwerdeführer konkret geltend gemachte
finanzielle Belastung unzumutbar wäre. Zudem hat der Gesetzgeber ergänzende
Regelungen getroffen, um die Belastung der chronisch Kranken durch die Kosten
für Medikamente in Grenzen zu halten.
d) Auch die Differenzierung des Gesetzgebers zwischen schwerwiegenden
und anderen Erkrankungen ist verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Bei
schwerwiegenden Erkrankungen, bei denen das Medikament zum Therapiestandard
gehört, können auch nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Die Schwere der Erkrankung
ist im Rahmen eines Krankenversicherungssystems ein naheliegendes
Sachkriterium, um innerhalb des Leistungskatalogs zu differenzieren.
4. Die Verfassungsbeschwerde ist ebenso unbegründet, soweit ein Verstoß
gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch
unterlassene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gerügt
wird. Das Bundessozialgericht hat die Vorlagepflicht in vertretbarer Weise
gehandhabt.
BVerfG, Beschluss 1 BvR 69/09 vom 12.12.2012
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