Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 02.03.2017 entschieden.
Die Ehefrau des Klägers litt seit einem Unfall im Jahr 2002 unter einer hochgradigen, fast kompletten Querschnittslähmung. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten starke Schmerzen. Wegen dieser von ihr als unerträglich und entwürdigend empfundenen Leidenssituation hatte sie den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Ihren Sterbewunsch hatte sie mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den behandelnden Ärzten, einem Psychologen, dem Pflegepersonal und einem Geistlichen besprochen. Im November 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels. Das BfArM lehnte den Antrag im Dezember 2004 ab, weil eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötung nicht vom Zweck des Betäubungsmittelgesetzes gedeckt sei. Im Februar 2005 reisten der Kläger und seine Frau in die Schweiz, wo sie sich mit Unterstützung eines Vereins für Sterbehilfe das Leben nahm. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Feststellung, dass der Versagungsbescheid rechtswidrig und das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen sei, wies das Verwaltungsgericht Köln im Februar 2006 als unzulässig ab. Es war der Auffassung, dass der Kläger nicht klagebefugt sei, weil er durch die Ablehnung der von seiner Ehefrau beantragten Erlaubnis nicht in eigenen Rechten verletzt sein könne. Das Rechtsmittel vor dem Oberverwaltungsgericht Münster sowie die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht blieben ohne Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied mit Urteil vom 19. Juli 2012, dass der Kläger aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründetheit der Klage prüften. In dem daraufhin wiederaufgenommenen Klageverfahren wurde das Feststellungsbegehren des Klägers von den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen. Das BfArM habe zu Recht angenommen, dass die beantragte Erlaubnis nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zu versagen sei. Darin liege auch weder ein Verstoß gegen Grundrechte noch gegen Rechte und Freiheiten nach der EMRK.
Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht die Urteile der Vorinstanzen geändert und festgestellt, dass der Versagungsbescheid des BfArM rechtswidrig gewesen ist. Im Übrigen hat es die Revision zurückgewiesen. Nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ist es grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Hiervon ist im Lichte des genannten Selbstbestimmungsrechts in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative - etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch - zur Verfügung steht. Ihnen darf der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaubt, nicht verwehrt sein. Deshalb hätte das BfArM prüfen müssen, ob hier ein solcher Ausnahmefall gegeben war. Diese Prüfung lässt sich nach dem Tod der Ehefrau des Klägers nicht mehr nachholen. Eine Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz zur weiteren Sachverhaltsaufklärung scheidet daher ebenso aus wie die Feststellung, dass das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen wäre.
BVerwG, Urteil 3 C 19.15 vom 02.03.2017