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Sehr geehrte Ärzte,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Steuer & Recht
Einem aktuellen Urteil des OVG NRW zur Folge (OVG NRW, Urt. v. 06.2.2013, 6t A 1843/10.T) kann sich ein Verstoß gegen die zwingenden Abrechnungsvorgaben der GoÄ als Berufsrechtsverstoß darstellen, der die zuständige Ärztekammer eine Geldbuße verhängen. Im konkreten Fall obsiegte die Ärztekammer nunmehr mit dem Antrag, dem Arzt das passive Berufswahlrecht zu entziehen sowie auf eine Geldbuße von 20.000,00 Euro zu erkennen und gemäß § 92 Abs. 1 i. V. m. § 60 Abs. 3 HeilBerG auf eine Veröffentlichung der Entscheidung unter namentlicher Benennung des Arztes zu erkennen.
Nach Ansicht des OVG hat der Arzt gegen seine Berufspflichten, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 29 Abs. 1 HeilBerG NRW) und gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 BO verstoßen, indem er unangemessene, nicht nach den Vorschriften der GOÄ bemessene Honorarforderungen gestellt hat. Eine die Vorschriften der GOÄ nicht beachtende Abrechnung ist geeignet, einen Verstoß gegen die Berufspflichten zu begründen. Zwar stellt nicht jede Abweichung von einer bestmöglichen Handhabung der Abrechnungsvorschriften einen Verstoß gegen die dem Arzt obliegende Berufspflicht dar. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Einhaltung der generalklauselartigen Grundpflicht des § 29 Abs. 1 HeilBerG NRW in Rede steht, die nicht auf ein konkretes Verhalten, sondern auf die Zielrichtung ärztlicher Bemühungen abstellt. Das ist nach Ansicht des OVG auch dann der Fall, wenn die Anwendung von Vergütungsregelungen von komplexen medizinischen und juristischen Bewertungen abhängig ist, selbst wenn sich die - jedenfalls im Ansatz vertretbare - Bewertung durch den Arzt im Nachhinein als unzutreffend herausstellt. Es ist nämlich nicht Sinn des berufsgerichtlichen Verfahrens, bei differierenden rechtlichen Bewertungen einer Gebührenforderung inzident über die zivilrechtliche Berechtigung der Gebührenforderung zu entscheiden und einen Berufsverstoß schon immer dann anzunehmen, wenn sich eine Rechnungsstellung im Nachhinein als unzutreffend erweist. Jedenfalls solange, wie die Gebührenforderung nicht vorsätzlich fehlerhaft vorgenommen wird oder sie sich nicht offensichtlich außerhalb jeder vertretbaren rechtlichen Meinung befindet, kann ihr Ansatz nicht als erheblich anzusehender und deshalb ahndungswürdiger Sorgfaltspflichtverstoß angesehen werden. Auch wenn der Arzt berufsrechtlich zur gewissenhaften Berufsausübung verpflichtet ist und in diesem Zusammenhang nur angemessene und auch im Übrigen den Anforderungen der GOÄ entsprechende Honorarforderungen stellen darf, ist ein Streit über die Berechtigung dieser Forderung ungeachtet einer etwaigen außergerichtlichen Inanspruchnahme der Vermittlungsversuche der Antragstellerin vornehmlich im Innenverhältnis zwischen Arzt und Patient zu regeln. Jede andere Betrachtungsweise würde den Arzt bei in der Rechtsanwendung im Einzelfall umstrittenen Gebührenansätzen dem Risiko aussetzen, nach einer etwaigen zivilgerichtlichen Feststellung zu seinen Lasten auch noch mit berufsrechtlichen Sanktionen belegt zu werden.
Letztlich sprechen auch verfassungsrechtliche Erwägungen dafür, nur erhebliche Sorgfaltsverstöße bei der Erstellung einer ärztlichen Liquidation als berufsrechtlich relevant anzusehen. Es ist zwar grundsätzlich Sache des Verordnungsgebers der GOÄ, darüber zu befinden, wie ärztliche Leistungen, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung nach Erlass der Verordnung eingetretener Veränderungen des technischen Standards oder der Fortentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse, zu bewerten sind. Eine Bindung an die Verordnung besteht allerdings dann nicht, wenn sie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht - etwa Art. 3 oder Art. 12 GG - nichtig ist. Es muss dem Arzt auch in Anbetracht seiner Berufsfreiheit zugestanden werden, sich auf behauptete Verletzungen seiner Grundrechte zu berufen, ohne zugleich berufsrechtliche Sanktionen fürchten zu müssen. Dies wäre aber der Fall, wenn ein Berufsrechtsverstoß bereits dann vorläge, wenn der Arzt etwa mit vertretbarer Begründung vorträgt, die GOÄ trage nach ihrem Erlass eingetretenen Veränderungen nicht hinreichend Rechnung, seine Auffassung aber im Nachhinein keine (zivil)gerichtliche Billigung findet.
Im vorliegenden Fall stand zur Überzeugung des Senats fest, dass der beschuldigte Arzt durch die Anfertigung und Übersendung zahlreicher Privatliquidationen objektiv seine Berufspflichten verletzt habe. Der Beschuldigte habe im Zeitpunkt der Rechnungsstellung vorsätzlich und schuldhaft gehandelt.
Die vom Beschuldigten - nach wiederholter Einlassung seines Beistands in der Hauptverhandlung - persönlich gefertigten Rechnungen verstießen gegen Vorschriften der GOÄ. Alle vier Rechnungen enthielten mit Blick auf die tatsächlich vom Beschuldigten erbrachte Leistung nicht abrechenbare Gebührenpositionen. Der Beschuldigte hatte durch die Rechnungsstellung in den angeschuldigten Fällen gegenüber den Patienten konkludent zum Ausdruck gebracht, dass ihm die geltend gemachten Forderungen nach den Vorschriften der GOÄ zustehen, obwohl er wusste, dass seine Rechnungsstellungen gegen die von ihm zur Begründung seiner Forderung herangezogenen Gebührenziffern verstießen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats schon aus den konkreten Umständen der Rechnungsstellung. Denn allen Rechnungsstellungen ist gemeinsam, dass der Beschuldigte formal Abrechnungen erstellt hat, die den Anschein erwecken sollten, unter Anlegung eines vertretbar interpretierten Sitzungsbegriffs der GOÄ gefertigt worden zu sein. Dem liegt offensichtlich die Überlegung des Beschuldigten zugrunde, dass der jeweilige Leistungserbringer (Krankenversicherer, Beihilfestelle) bei der Angabe mehrerer Leistungsdaten von jeweils beendeten Arzt-Patienten-Kontakten und mithin von mehreren - die zulässige Abrechnung eröffnenden - Sitzungen ausgehen würde. Dies geschah jeweils in der Erwartung, dass die Patienten - solange ihre Rechnungen von den Leistungsträgern erstattet würden - die Rechnungsstellung gegenüber dem Beschuldigten nicht reklamieren würden.
Auch die Veröffentlichung der Entscheidung im Ärzteblatt unter Nennung des Namens des Beschuldigten sieht der Senat als gerechtfertigt an. Gemäß § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW kann in besonderen Fällen auf Veröffentlichung der Entscheidung erkannt werden. Ein besonderer Fall liegt regelmäßig dann vor, wenn für ein besonders schwerwiegendes Berufsvergehen eine Maßnahme nach § 60 Abs. 1 HeilBerG NRW verhängt wird, eine Kombination der Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 HeilBerG NRW nicht ausreicht und der Fall besondere Bedeutung für die Allgemeinheit oder für die in der Kammer zusammengeschlossenen Berufsangehörigen hat.
Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall gegeben. Das Berufsvergehen wiegt nach Ansict des OVG besonders schwer, weil mit ihm in systematischer Weise ein den Vorschriften der GOÄ widersprechendes Abrechnungssystem verfolgt worden ist, dem eine hohe Schadensneigung zulasten der Vermögensinteressen der betroffenen Patienten bzw. der Allgemeinheit in Form der Krankenkassenträger, Beihilfeträger o. ä. zukommt, wobei es im vorliegenden Fall auf den konkreten Schadenseintritt - wie dargelegt - nicht ankommt. Dessen Ahndung erfordert deutlich spürbare berufsgerichtliche Maßnahmen in Form der Entziehung des passiven Berufswahlrechts und einer erheblichen Geldbuße. Diese Maßnahmen allein sind im vorliegenden Fall jedoch nach Ansicht des Senats nicht ausreichend. Das vom Beschuldigten mit erheblicher Hartnäckigkeit verfolgte und verteidigte, gleichzeitig aber verschleierte Abrechnungssystem ist Ausdruck einer berufsrechtsfeindlichen Einstellung, die der Zielsetzung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 HeilBerG NRW diametral zuwiderläuft. Daher ist über die verhängten Maßnahmen hinaus zur individuellen Disziplinierung des Beschuldigten auf die Veröffentlichung der Entscheidung zu erkennen. Die Entscheidung ist auch in nicht anonymisierter Form zu veröffentlichen. Auch wenn sich das Heilberufsgesetz NRW nicht ausdrücklich zu dieser Frage verhält, liegt ihm offenbar die Erwägung zugrunde, dass mit der Wendung „Veröffentlichung der Entscheidung" die konkrete, invidualisierte, gegenüber dem Beschuldigten ergangene Entscheidung gemeint ist; eine Anonymisierung der Daten des Beschuldigten schlösse dies aus.
Dr. Robert Kazemi
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