• 15.03.2013 – Rüge missbräuchlicher Hypothekendarlehensklausel - Vorläufige Verhinderung der Vollstreckung

    FINANZEN – Steuer & Recht Die spanischen Rechtsvorschriften widersprechen dem Unionsrecht, soweit sie dem Gericht, das über die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Ve ...

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Steuer & Recht

Rüge missbräuchlicher Hypothekendarlehensklausel - Vorläufige Verhinderung der Vollstreckung

 

Die spanischen Rechtsvorschriften widersprechen dem Unionsrecht, soweit sie dem Gericht, das über die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Vertrags über einen Immobiliarkredit befindet, verwehren, das anderweitig eingeleitete Hypothekenvollstreckungsverfahren auszusetzen.

In der spanischen Regelung sind die - starken Einschränkungen unterliegenden - Einwände aufgezählt, die ein Schuldner einem Hypothekenvollsteckungsverfahren entgegensetzen kann. Eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag über ein Hypothekendarlehen gehört nicht dazu. Mithin kann eine solche nur im Rahmen eines gesonderten Erkenntnisverfahrens geltend gemacht werden, was aber nicht zu einer Aussetzung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens führt. Wenn eine mit einer Hypothek belastete Sache endgültig einem Dritten - z. B. einer Bank - zugeschlagen wird, kann dies darüber hinaus im spanischen Vollsteckungsrecht grundsätzlich nicht mehr rückgängig gemacht werden. Erklärt das Gericht des Erkenntnisverfahrens in seiner Entscheidung eine Klausel im Darlehensvertrag für missbräuchlich - und somit das Hypothekenvollstreckungsverfahren für nichtig -, kann diese Entscheidung nach durchgeführter Zwangsvollstreckung folglich für den Verbraucher nur einen nachgelagerten, lediglich in Schadenersatz bestehenden Schutz sicherstellen, ohne dass die ihrer Wohnung verwiesene Person ihr Eigentum zurückerlangen kann.

Im Juli 2007 schlossen Herr Aziz, ein in Spanien arbeitender marokkanischer Staatsangehöriger, und die Bank Catalunyacaixa einen Vertrag über einen Immobiliarkredit in Höhe von 138.000 Euro, zu dessen Besicherung der Familienwohnsitz von Herrn Aziz mit einer Hypothek belastet wurde. Ab Juni 2008 stellte Herr Aziz die Zahlung seiner monatlichen Raten ein. Nachdem ihn die Bank erfolglos zur Zahlung aufgefordert hatte, leitete sie gegen ihn ein Vollstreckungsverfahren ein. Da Herr Aziz nicht zur Verhandlung erschienen war, wurde die Vollstreckung angeordnet. Im Termin zur Versteigerung wurde kein Gebot abgegeben, so dass gemäß den spanischen Rechtsvorschriften die Bank den Zuschlag zu 50 % des Sachwertes erhielt. Am 20. Januar 2011 wurde Herr Aziz seiner Wohnung verwiesen. Kurz zuvor hatte er beantragt, eine Klausel des Hypothekendarlehens wegen Missbräuchlichkeit für nichtig und folglich das Vollstreckungsverfahren für nichtig erklären zu lassen.

In diesem Zusammenhang hat das mit dieser Rechtssache befasste Handelsgericht Nr. 3 von Barcelona beschlossen, den Gerichtshof zum einen zur Vereinbarkeit des spanischen Rechts mit der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln zu befragen, weil das spanische Recht es einem Richter extrem erschwere, dem Verbraucher einen wirksamen Schutz zu gewährleisten; zum anderen fragt das spanische Gericht nach den Merkmalen des Begriffs "missbräuchliche Klausel" im Sinne der genannten Richtlinie.

Mit seinem am 14.03.2013 verkündeten Urteil antwortet der Gerichtshof hierauf erstens, dass die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln einer nationalen Regelung wie der fraglichen spanischen entgegensteht, die dem Gericht des Erkenntnisverfahrens - d. h. des Verfahrens, in dem es darum geht, eine Klausel für missbräuchlich zu erklären - nicht erlaubt, vorläufige Maßnahmen wie insbesondere die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens zu treffen, wenn sie erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit seiner Endentscheidung zu gewährleisten.

Vorab weist der Gerichtshof darauf hin, dass die im Rahmen eines Hypothekenvollstreckungsverfahrens zulässigen Einwendungen und die Wahrnehmung der Befugnisse des Gerichts des Erkenntnisverfahrens der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unterfallen, weil die nationalen Zwangsvollstreckungsverfahren nicht vereinheitlicht worden sind. Allerdings darf diese Regelung nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regelt, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzprinzip), und sie darf die Ausübung der den Verbrauchern durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip).

In Bezug auf das letztgenannte Prinzip ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die spanische verfahrensrechtliche Regelung die Wirksamkeit des mit der Richtlinie beabsichtigten Schutzes beeinträchtigt. Dies trifft auf alle Fälle zu, in denen die Immobiliarzwangsvollstreckung durchgeführt wird, bevor das Gericht des Erkenntnisverfahrens die der Hypothek zugrunde liegende Klausel für missbräuchlich und somit das Vollstreckungsverfahren für nichtig erklärt. Da nämlich das Gericht des Erkenntnisverfahrens keine Möglichkeit hat, das Vollstreckungsverfahren auszusetzen, vermag die genannte Nichtigerklärung für den Verbraucher nur einen nachgelagerten, lediglich in Schadenersatz bestehenden Schutz sicherzustellen. Diese Entschädigung erweist sich als unvollständig und unzureichend und ist weder ein angemessenes noch ein wirksames Mittel, um der Verwendung dieser Klauseln ein Ende zu setzen. Dies gilt umso mehr, wenn der Gegenstand, der mit der hypothekarischen Sicherheit belastet ist, wie im Ausgangsverfahren, die Wohnung des geschädigten Verbrauchers und seiner Familie ist, weil diese Verbraucherschutzregelung, die auf die Zahlung von Schadensersatz beschränkt ist, den endgültigen und nicht rückgängig zu machenden Verlust der Wohnung nicht verhindern kann. So könnten die Gewerbetreibenden den Verbrauchern den mit der Richtlinie beabsichtigten Schutz schon dadurch entziehen, dass sie ein Hypothekenvollstreckungsverfahren betreiben. Daher gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die spanische Regelung nicht mit dem Effektivitätsprinzip vereinbar ist, soweit sie in den Hypothekenvollstreckungsverfahren, die von Gewerbetreibenden gegen Verbraucher betrieben werden, den Schutz, der den Verbrauchern mit der Richtlinie gewährt wird, unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Bei der Prüfung des Begriffs der missbräuchlichen Klausel weist der Gerichtshof sodann darauf hin, dass das durch eine solche Klausel verursachte "erhebliche und ungerechtfertigte Missverhältnis" unter Berücksichtigung derjenigen Vorschriften zu beurteilen ist, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in diesem Punkt keine Vereinbarung getroffen haben. Hierbei ist außerdem von Bedeutung, dass die Rechtslage des Verbrauchers vor dem Hintergrund der Mittel untersucht wird, die ihm das nationale Recht zur Verfügung stellt, um der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen. Bei der Frage, ob das Missverhältnis "entgegen dem Gebot von Treu und Glauben" verursacht wird, ist zu prüfen, ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt.

Anhand dieser Kriterien hat das nationale Gericht zu prüfen, ob die Verzugszinsklausel in dem von Herrn Aziz unterzeichneten Vertrag missbräuchlich ist. Diese Klausel sah jährliche Verzugszinsen in Höhe von 18,75 % vor, die, ohne dass es einer Zahlungsaufforderung bedurfte, für bei Fälligkeit nicht entrichtete Beträge ohne Weiteres anfielen. Das nationale Gericht wird diesen Zinssatz u. a. mit dem gesetzlichen Zinssatz vergleichen und feststellen müssen, ob er zur Erreichung der Zwecke, die in Spanien mit Verzugszinsen verfolgt werden, geeignet ist und nicht über das hierzu Erforderliche hinausgeht.

Die Klausel über die vorzeitige Fälligstellung des betreffenden Vertrags erlaubt außerdem der Bank, das gesamte Darlehen fällig zu stellen, nachdem der Schuldner ein einziges Mal seiner Verpflichtung zur Zahlung auf das Kapital oder der Zinsen nicht nachgekommen ist. Das nationale Gericht wird insbesondere prüfen müssen, ob diese Möglichkeit davon abhängig ist, dass der Verbraucher eine wesentliche vertragliche Verpflichtung nicht erfüllt hat, und ob diese Nichterfüllung im Verhältnis zur Laufzeit und zur Höhe des Darlehens hinreichend schwerwiegend ist.

Schließlich sieht die Klausel über die einseitige Bezifferung der offenen Forderung vor, dass die Bank deren Höhe für die Einleitung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens unmittelbar beziffern kann. Das nationale Gericht wird beurteilen müssen, ob - und gegebenenfalls inwieweit - durch diese Klausel für den Verbraucher vor dem Hintergrund der ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Mittel der Zugang zum Gericht und die Ausübung der Verteidigungsrechte erschwert wird.

EuGH, Pressemitteilung vom 14.03.2013 zum Urteil C-415/11 vom 14.03.2013

 

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