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Sehr geehrte Ärzte,
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Wirtschaft & Börse
In vielen europäischen Ländern begrenzen eine hohe Tarifbindung oder das
Zusammenspiel zwischen Tarif- und Mindestlöhnen die Lohnungleichheit. In
Deutschland tun sich erhebliche Lücken auf: Der Wirkungsbereich des klassischen
Tarifmodells ist deutlich geschrumpft, gesetzliche Stützen zur Stabilisierung des
Lohngefüges gibt es kaum. Zu diesem Ergebnis kommen Prof. Dr. Gerhard Bosch und
Dr. Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der
Universität Duisburg-Essen. Ihre aktuelle Analyse ist in der neuen Ausgabe der
WSI-Mitteilungen erschienen, der Fachzeitschrift des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Bei der Verbreitung von Niedriglöhnen sind in Europa die Unterschiede groß: In
Schweden verdienen knapp 3 Prozent der Beschäftigten weniger als zwei Drittel
des mittleren Lohns, in Frankreich 6, in Spanien 15 und in Deutschland 22
Prozent. Die IAQ-Forscher Bosch und Weinkopf haben untersucht, wie diese
Differenzen zu erklären sind. Ihrer Analyse zufolge sind die nationalen
Institutionen der Lohnfindung maßgeblich. Dabei beobachten sie eine
Wechselwirkung zwischen gesetzlichen Lohnuntergrenzen und dem Tarifsystem.
In Großbritannien etwa seien die Betriebe zwar nur zu einem Drittel
tarifgebunden. Immerhin gebe es aber einen nationalen Mindestlohn, also eine
verbindliche Lohnuntergrenze für alle Arbeitgeber. In Frankreich sei der
Organisationsgrad der Arbeitnehmer zwar gering. Neben einem relativ hohen
Mindestlohn von 9,43 Euro wirke sich aber positiv auf das gesamte Lohngefüge
aus, dass viele Tarifverträge per Allgemeinverbindlicherklärung für alle
Unternehmen einer Branche gelten. Die Gewerkschaften in Belgien, den
Niederlanden und Spanien könnten oberhalb der gesetzlichen Mindestlöhne
Tariflöhne durchsetzen, die ebenfalls oft allgemeinverbindlich erklärt werden.
Dänemark, Schweden und Österreich kämen aufgrund der fast lückenlosen
Tarifbindung völlig ohne gesetzliche Lohnuntergrenze aus.
Die Situation in Deutschland halten die IAQ-Forscher in mehrfacher Hinsicht für
problematisch: Die Tarifbindung ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten
rapide gesunken. Wurden 1998 noch deutlich mehr als 70 Prozent aller
Beschäftigten nach Tarif bezahlt, waren es 2012 nur noch 59 Prozent. Wo die
Gewerkschaften schwach sind, würden teilweise Tariflöhne unter der
Niedriglohnschwelle vereinbart, so Bosch und Weinkopf. In vielen kleinen
Unternehmen gebe es zudem keinen Betriebsrat, der die Einhaltung tariflicher
Mindeststandards kontrollieren könnte.
Ohne einen generellen Mindestlohn seien so neben dem klassischen deutschen
Tarifmodell "große weiße Zonen eines unregulierten Arbeitsmarktes"
entstanden. Darüber hinaus verweigerten die Arbeitgeberverbände seit mehreren
Jahren die Zustimmung zu Allgemeinverbindlicherklärungen. Die Folge: Der
Niedriglohnsektor ist in Deutschland größer als in den meisten europäischen
Staaten.
Mindestlöhne stoppen Sog nach unten, Tarifbindung reduziert
Niedriglohnquote
In ihrer Untersuchung haben Bosch und Weinkopf auch die Auswirkungen von
Mindestlöhnen auf die Lohnverteilung genauer untersucht. Dazu verglichen die
Wissenschaftler des IAQ die Situation in 14 EU-Staaten. Die meisten
Mindestlöhne liegen laut ihrer Analyse unterhalb der Niedriglohnschwelle und
haben daher wenig Einfluss auf den Anteil der Geringverdiener. Nur der französische
Mindestlohn sei so hoch, dass er einen eigenständigen Beitrag zur Begrenzung
des Niedriglohnsektors leiste. In allen Staaten könnten gesetzliche
Untergrenzen aber das Ausfransen der Verdienste nach unten verhindern, also die
Lohnungleichheit innerhalb des Niedriglohnsektors verringern.
Zudem gebe es Auswirkungen auf die Lohnverteilung zwischen Männern und Frauen,
schreiben die Wissenschaftler. Der Grund: Arbeitnehmerinnen seien
überproportional von Niedriglöhnen betroffen und profitierten daher besonders
stark von gesetzlichen Regelungen gegen Lohndumping. In Großbritannien habe
sich der Gender Pay Gap bei Vollzeitbeschäftigten seit der Einführung des
nationalen Mindestlohns im Jahr 1999 spürbar verringert.
Für die Verminderung von Lohnungleichheit insgesamt ist der Studie zufolge vor
allem die Tarifpolitik entscheidend: Erst durch Tarifverträge entstehe
überhaupt eine "lohnpolitische Mittelschicht". Eine hohe Tarifbindung
reduziere daher den Niedriglohnanteil. Da Frauen oft in Branchen mit niedriger
Tarifbindung arbeiten, kämen die Vorteile tendenziell eher Männern zugute. Die
skandinavischen Länder hätten aber durch eine solidarische Lohnpolitik
erfolgreich Gleichstellungspolitik betrieben, schreiben Bosch und Weinkopf.
Weitere
Informationen finden Sie auf der Homepage der Hans-Böckler-Stiftung.
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