• 09.10.2024 – Apotheken-News: Schließungen, Reformdruck und digitale Zukunftsperspektiven

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-News: Schließungen, Reformdruck und digitale Zukunftsperspektiven

 

Wie Retaxationsrisiken, Medikamentenengpässe und innovative Technologien die Apothekenlandschaft in Deutschland an ihre Grenzen bringen und gleichzeitig neue Chancen bieten

Die Apothekenlandschaft in Deutschland steht vor gravierenden Herausforderungen: Während das NARZ vor einem Systembruch warnt und Apotheken vor finanziellen Risiken durch Retaxationen zittern, verstärkt Bayern den Druck auf die Bundesregierung wegen zunehmender Arzneimittel-Lieferengpässe. Gleichzeitig zeigen digitale Innovationen wie die Telemedizin-Plattform in Sachsen-Anhalt und der Erfolg von Noventi neue Wege auf. Doch auch in der Medizin gibt es Fortschritte: Neue Daten zur Mpox-Impfung und der Antikörper Crovalimab bieten Hoffnung, während die Nobelpreisträger Hopfield und Hinton für ihre bahnbrechenden KI-Entdeckungen geehrt werden.


Die Apothekenlandschaft in Deutschland befindet sich in einer tiefen Krise, die sich zunehmend verschärft. Das Norddeutsche Apothekenrechenzentrum (NARZ) hat im Rahmen seiner Mitgliederversammlung eine bemerkenswert positive Geschäftsbilanz vorgelegt, aber gleichzeitig eindringlich auf die besorgniserregende Lage im Apothekenwesen hingewiesen. Jörn Graue, Vorsitzender des NARZ, nutzte die Gelegenheit, um klare Worte an die politischen Entscheidungsträger zu richten. Er kritisierte die aktuellen Reformpläne scharf und warnte davor, dass das deutsche Apothekensystem vor einem Systembruch steht, wenn nicht rasch gegengesteuert wird. Die anhaltende Schließungswelle von Apotheken könnte verheerende Auswirkungen haben – nicht nur auf die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten, sondern auch auf die Stabilität des gesamten Gesundheitssystems. Graues deutliche Mahnung ist ein Weckruf an die Politik, endlich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Entwicklung zu stoppen und die Apotheken zu entlasten.

Die Lage der Apotheken ist ernster denn je. Eine aktuelle Umfrage der ABDA (Bundesverband Deutscher Apothekerverbände) hat ergeben, dass rund zwei Drittel der Apothekeninhaberinnen und -inhaber die Zukunft ihrer Betriebe sehr pessimistisch sehen. Die Mehrzahl geht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Situation in den nächsten zwei bis drei Jahren weiter verschlechtern wird. Diese düstere Einschätzung zeigt sich auch in der zurückhaltenden Investitionsbereitschaft: Mehr als die Hälfte der Befragten plant, in naher Zukunft keine weiteren Investitionen mehr zu tätigen. Dies ist ein alarmierendes Signal, denn es deutet auf eine tiefgreifende Unsicherheit in der Branche hin. Ohne Investitionen in moderne Technik, Personal oder Dienstleistungen laufen Apotheken Gefahr, weiter an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren und in der Folge schließen zu müssen. Vor allem kleinere Apothekenbetriebe, die in ländlichen Regionen oft eine unverzichtbare medizinische Versorgungsfunktion übernehmen, sind von dieser Entwicklung besonders stark betroffen.

Ein weiterer Faktor, der die wirtschaftliche Stabilität vieler Apotheken bedroht, sind die zunehmenden Retaxationen. Diese entstehen durch formale Fehler bei der Abrechnung von Rezepten – sei es durch fehlende oder falsche Angaben, unvollständige Verordnungen oder andere formale Mängel. Krankenkassen haben das Recht, in solchen Fällen bereits geleistete Zahlungen zurückzufordern, was für viele Apotheken erhebliche finanzielle Belastungen bedeutet. Besonders kleinere Apotheken, die ohnehin in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld agieren, können unter den Rückforderungen leiden. Für sie können spezialisierte Versicherungslösungen eine wichtige Absicherung darstellen, um sich gegen solche finanziellen Risiken zu schützen. Dennoch bleibt das Problem bestehen, dass die verschärften Retaxationsregelungen die Apotheken stark unter Druck setzen und den ohnehin angespannten wirtschaftlichen Rahmen weiter belasten.

Die Lieferengpässe bei Arzneimitteln stellen ein weiteres gravierendes Problem für das deutsche Gesundheitssystem dar. In Bayern hat Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) bereits Maßnahmen ergriffen und den Druck auf die Bundesregierung verstärkt, um gegen die Engpässe vorzugehen. Die bayerische Landesregierung hat eine "Task-Force Arzneimittelversorgung" einberufen, die mit Vertretern der Ärzteschaft, Apothekern, Pharmaunternehmen und Krankenkassen nach Lösungen sucht. Besonders besorgniserregend ist der Mangel an Kochsalzlösungen, die in Kliniken und Krankenhäusern zur Behandlung von Patienten unverzichtbar sind. Die beiden wichtigsten Hersteller, Fresenius Kabi und B. Braun Melsungen, können die Nachfrage derzeit nicht decken. Während Fresenius nur noch 80 Prozent des üblichen Bedarfs liefert, kämpft B. Braun mit Problemen bei einem seiner Zulieferer. Die Konsequenzen sind schwerwiegend: Krankenhäuser müssen Alternativen finden, um ihre Patienten weiterhin versorgen zu können, was jedoch bei den aktuellen Engpässen eine große Herausforderung darstellt.

Auf der wirtschaftlichen Seite gibt es jedoch auch positive Entwicklungen. Noventi Health SE, ein Marktführer im Bereich Apothekenabrechnung und IT-Dienstleistungen, hat sich erfolgreich neu ausgerichtet. Nach schwierigen Jahren, in denen das Unternehmen Verluste schrieb, gelang es durch eine Fokussierung auf das Kerngeschäft, wieder in die Gewinnzone zurückzukehren. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2024 erzielte Noventi einen Umsatz von über 195 Millionen Euro, und das Abrechnungsvolumen blieb konstant bei über 22 Milliarden Euro. Diese positive Entwicklung zeigt, dass Unternehmen, die frühzeitig auf Digitalisierung und Effizienzsteigerung setzen, auch in schwierigen Zeiten erfolgreich sein können. Der Erfolg von Noventi könnte ein Modell für andere Unternehmen in der Branche sein, wie man sich durch Innovation und Neuausrichtung in einem herausfordernden Markt behaupten kann.

Sachsen-Anhalt hingegen setzt auf Telemedizin, um die medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten zu verbessern. Angesichts des Ärztemangels und der langen Anfahrtswege in strukturschwachen Regionen hat das Land eine landesweite Telemedizin-Plattform entwickelt, die es ermöglichen soll, Fachärzte digital in die Behandlung von Patienten einzubinden. Die Plattform wird bis 2026 mit fast 12 Millionen Euro aus dem Corona-Sondervermögen des Landes gefördert und soll insbesondere ländlichen Gebieten zugutekommen. Dieses Projekt hat das Potenzial, die Gesundheitsversorgung in strukturschwachen Regionen nachhaltig zu verbessern und könnte Vorbild für andere Bundesländer sein.

Im Bereich der Impfungen wird derzeit diskutiert, ob eine Auffrischungsimpfung gegen Mpox (Affenpocken) erforderlich ist. Der Pockenimpfstoff Imvanex®, der seit dem globalen Ausbruch der Mpox-Viren eingesetzt wird, bietet zwar einen guten Schutz, aber neue Daten deuten darauf hin, dass der Immunschutz nach einer gewissen Zeit nachlässt. Professor Dr. Christoph Spinner vom Klinikum der Technischen Universität München stellte bei einer Veranstaltung des Herstellers Bavarian Nordic entsprechende Real-World-Daten vor, die auf die Notwendigkeit von Auffrischungsimpfungen hinweisen. Diese Diskussion könnte zu einer breiteren Debatte über die Immunität gegen neu auftretende Infektionskrankheiten führen und zeigen, dass ständige Anpassungen in den Impfstrategien notwendig sind.

Ein weiterer bedeutender medizinischer Fortschritt wurde mit der Einführung des monoklonalen Antikörpers Crovalimab erzielt. Dieser Antikörper bietet Patienten mit der seltenen und potenziell tödlichen Bluterkrankung paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) eine neue Hoffnung. PNH führt dazu, dass das Komplementsystem die roten Blutkörperchen zerstört, was zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen wie Anämie und einem erhöhten Risiko für Thrombosen führt. Crovalimab blockiert gezielt das Komplementsystem und stellt damit eine vielversprechende Therapieoption dar, die das Leben der Betroffenen erheblich verbessern könnte.

Schließlich gibt es noch einen besonderen wissenschaftlichen Erfolg zu vermelden: Der Nobelpreis für Physik 2024 wurde an John J. Hopfield und Geoffrey E. Hinton verliehen, zwei Wissenschaftler, die grundlegende Arbeiten zur Entwicklung künstlicher neuronaler Netze geleistet haben. Ihre Forschung hat nicht nur die Künstliche Intelligenz revolutioniert, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf zahlreiche andere wissenschaftliche und technische Bereiche. Heute finden ihre Entdeckungen in fast allen Bereichen des täglichen Lebens Anwendung, von Sprachassistenten bis hin zu komplexen medizinischen Analysen. Die Verleihung des Nobelpreises zeigt, wie wichtig es ist, in die Grundlagenforschung zu investieren, um technologische und medizinische Innovationen voranzutreiben.


Kommentar:

Die derzeitige Krise im deutschen Apothekenwesen verdeutlicht einmal mehr, dass tiefgreifende Reformen notwendig sind, um die Apothekenlandschaft nachhaltig zu stabilisieren. Die Apotheken spielen eine zentrale Rolle im deutschen Gesundheitssystem, insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen sie oft die einzige Anlaufstelle für medizinische Versorgung darstellen. Die anhaltenden Schließungen gefährden nicht nur die Medikamentenversorgung, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Es braucht politische Maßnahmen, die nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, sondern auch die Wertschätzung für die Arbeit der Apothekerinnen und Apotheker fördern.

Die zunehmenden Retaxationen sind ein weiteres Beispiel für den enormen Druck, dem Apotheken ausgesetzt sind. Diese finanziellen Rückforderungen, oft aufgrund kleinster formaler Fehler, können für Apotheken existenzbedrohend sein. Es ist dringend notwendig, die bürokratischen Hürden abzubauen und den Apotheken mehr Rechtssicherheit zu geben, um ihre wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten.

Die anhaltenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln zeigen, dass auch das Thema Versorgungssicherheit stärker in den Fokus rücken muss. Die Maßnahmen, die in Bayern ergriffen wurden, sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie müssen auf Bundesebene weiter ausgebaut werden. Nur durch eine enge Zusammenarbeit aller Akteure – von der Politik über die Pharmaunternehmen bis hin zu den Apotheken – kann die Versorgung der Patienten langfristig sichergestellt werden.

Die Entwicklungen bei Noventi und in der Telemedizin zeigen jedoch auch, dass es Möglichkeiten gibt, durch Digitalisierung und Innovation erfolgreich zu sein. Apotheken sollten die Chancen nutzen, die sich durch neue Technologien bieten, um ihre Prozesse zu optimieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Es bedarf jedoch politischer und wirtschaftlicher Unterstützung, damit auch kleinere Apotheken von diesen Entwicklungen profitieren können.

Die medizinischen Fortschritte, insbesondere im Bereich der Impfungen und der Behandlung seltener Erkrankungen, sind ein Hoffnungsschimmer. Sie zeigen, dass die Forschung stetig voranschreitet und neue, lebensrettende Therapien entwickelt werden. Diese Innovationen sollten jedoch allen Patienten zugänglich gemacht werden, unabhängig von ihrer geografischen Lage oder den finanziellen Mitteln.

Letztendlich verdeutlicht der Nobelpreis für Physik, dass Investitionen in die Grundlagenforschung langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft haben können. Die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz könnten in Zukunft auch das Apothekenwesen revolutionieren und neue Möglichkeiten für die Medikamentenversorgung und den Patientenservice eröffnen. Die Politik ist nun gefordert, die richtigen Weichen zu stellen, um diese Chancen zu nutzen und gleichzeitig die Apothekenlandschaft zu stärken.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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