• 17.09.2024 – Apotheken-News: Versicherungsrecht reformiert, Gesundheitswesen belastet

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APOTHEKE | Medienspiegel & Presse |

Apotheken-News: Versicherungsrecht reformiert, Gesundheitswesen belastet

 

BGH verbessert Widerspruchsrechte, während das Gesundheitssystem mit Engpässen kämpft

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem wegweisenden Urteil das Widerspruchsrecht von Versicherungsnehmern bei Lebensversicherungen deutlich gestärkt. Ein Widerspruch gegen einen Rürup-Rentenvertrag ist auch Jahre nach Abschluss möglich, wenn die Widerspruchsbelehrung unzureichend oder fehlerhaft war, was erhebliche Folgen für die Versicherungsbranche haben könnte. Parallel dazu zeigt der Überschuldungsreport 2024, dass Krankheit und Sucht mittlerweile die häufigsten Ursachen für Überschuldung in Deutschland sind, noch vor der Arbeitslosigkeit. Apotheken kämpfen weiterhin mit Lieferengpässen bei lebenswichtigen Medikamenten, während in der Schmerztherapie vielversprechende Fortschritte erzielt werden: Das neue Capsaicin-Prodrug Vocacapsaicin, das postoperative Schmerzen wirksam lindern kann, könnte den Bedarf an opioidhaltigen Schmerzmitteln deutlich reduzieren.


Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich mit einem Urteil das Widerspruchsrecht von Versicherungsnehmern bei Lebensversicherungen grundlegend gestärkt. In einem wegweisenden Fall entschieden die Richter, dass ein Widerspruch gegen einen Rürup-Rentenvertrag auch Jahre nach Vertragsabschluss noch möglich ist, sofern die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft oder unzureichend war. Dieses Urteil dürfte weitreichende Konsequenzen für die Versicherungsbranche haben, da viele ältere Verträge unter vergleichbaren Bedingungen abgeschlossen wurden. Versicherungsnehmer, die über eine ungenügende Belehrung nicht richtig informiert waren, können somit nachträglich Ansprüche geltend machen. Dies könnte für viele Betroffene die Tür öffnen, um ihre Verträge rückabzuwickeln und mögliche Verluste abzumildern. Zugleich stellt dies die Versicherer vor die Herausforderung, mit einer möglicherweise großen Welle von Widersprüchen umgehen zu müssen, was nicht nur finanzielle Auswirkungen haben könnte, sondern auch zu einem Verlust des Vertrauens in die Branche führen kann.

Ein weiteres brisantes Thema betrifft die Überschuldung in Deutschland. Lange Zeit galt die Arbeitslosigkeit als Hauptursache für finanzielle Notlagen. Der aktuelle Überschuldungsreport 2024 des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF) zeigt jedoch, dass sich die Lage drastisch verändert hat: Krankheit und Sucht sind inzwischen die häufigsten Ursachen für Überschuldung und haben die Arbeitslosigkeit von der Spitzenposition verdrängt. Der Report, der Daten von 114 Schuldnerberatungsstellen auswertet, offenbart, dass im Jahr 2023 rund 18,4 Prozent der Überschuldungsfälle auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen sind. Das zeigt die enge Verknüpfung von finanzieller und gesundheitlicher Instabilität. Menschen, die schwer erkranken oder unter Suchterkrankungen leiden, verlieren oftmals nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihre finanzielle Stabilität. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie wichtig es ist, sowohl im Gesundheits- als auch im Sozialsystem frühzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen, um Betroffenen gezielt zu helfen.

Gleichzeitig stehen die Apotheken in Deutschland weiterhin vor erheblichen Problemen bei der Versorgung mit wichtigen Medikamenten. Obwohl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Entwarnung hinsichtlich der bevorstehenden Infektionssaison gegeben hat, bleiben Lieferengpässe bei bestimmten Medikamenten wie Antibiotika und Fiebersäften für Kinder ein ernstes Problem. Der Apothekerverband Nordrhein (AVNR) äußerte sich besorgt über die anhaltenden Engpässe, insbesondere bei Medikamenten wie Doxycyclin und Azithromycin, die für viele Patienten unverzichtbar sind. Trotz der optimistischen Einschätzungen der Behörden bleibt die Lage angespannt, was auch die tägliche Arbeit der Apotheken erschwert. Die Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten ist gefährdet, und Apotheken müssen mit zusätzlichen Belastungen und Risiken umgehen, um die medikamentöse Versorgung aufrechtzuerhalten.

In der Schmerztherapie gibt es hingegen vielversprechende Entwicklungen. Das neue Medikament Vocacapsaicin, ein Prodrug auf Basis des aus Chilis gewonnenen Capsaicins, könnte die Behandlung postoperativer Schmerzen revolutionieren. In einer kürzlich abgeschlossenen Phase-II-Studie wurde gezeigt, dass das Medikament Schmerzen nach Operationen effektiv lindern kann, während es gleichzeitig den Bedarf an opioidhaltigen Schmerzmitteln deutlich reduziert. Dies stellt einen bedeutenden Fortschritt dar, da opioidhaltige Schmerzmittel oft mit starken Nebenwirkungen und einem hohen Suchtpotenzial einhergehen. Die Einführung von Vocacapsaicin könnte daher zu einer spürbaren Entlastung in der Schmerzbehandlung führen, sowohl für Patienten als auch für das Gesundheitssystem.

Der aktuelle Bericht zur Anpassung der Vergütung für Vertragsärzte zeigt, dass der Orientierungswert für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen im Jahr 2025 um 3,85 Prozent steigen wird. Diese Erhöhung spiegelt die steigenden Kosten in Arztpraxen wider, die vor allem durch Inflation und den wachsenden Fachkräftemangel verursacht werden. Die zusätzlichen 1,7 Milliarden Euro sollen dazu beitragen, die ambulante Versorgung in Deutschland zu stabilisieren. Doch obwohl diese Maßnahme als Erfolg für die Vertragsärzte gewertet wird, bleibt abzuwarten, ob sie ausreicht, um die immer größeren finanziellen Belastungen in den Arztpraxen aufzufangen.

Auch in der Wissenschaft gibt es Fortschritte: Eine neue S3-Leitlinie zur Gichtdiagnostik und -therapie wurde erstmals veröffentlicht und bietet nun eine einheitliche und evidenzbasierte Grundlage für die Behandlung dieser Stoffwechselerkrankung. Gicht, die durch eine übermäßige Ansammlung von Harnsäure im Blut verursacht wird, führt zu schmerzhaften Gelenkentzündungen und langfristigen Schädigungen, wenn sie unbehandelt bleibt. Die neue Leitlinie, die in Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizinern und Fachärzten entwickelt wurde, bietet klare Handlungsempfehlungen für die Diagnose und Behandlung der Krankheit und könnte die Versorgung von Gichtpatienten erheblich verbessern.

Ein weiteres Thema, das vor allem in Apotheken relevant ist, ist die Anpassung der Packungsgrößen und Preisstrukturen des oralen Glucosetoleranztests (oGTT). Seit Ende 2022 ist der oGTT wieder als Fertigarzneimittel erhältlich, und der Anbieter InfectoPharm hat kürzlich die Verpackungseinheiten neu strukturiert. Die Einführung einer neuen 300-ml-Einzelflasche und die Umstellung auf eine größere Packungseinheit sollen sowohl wirtschaftliche als auch praktische Vorteile bieten. Diese Veränderungen zeigen, wie flexibel die Anbieter auf die Bedürfnisse der Apotheken und der Patienten reagieren müssen, um eine effektive und kostengünstige Versorgung zu gewährleisten.


Kommentar:

Das Urteil des BGH zum Widerspruchsrecht bei Lebensversicherungen hat das Potenzial, eine Lawine von Ansprüchen nach sich zu ziehen, die sowohl für Versicherungsnehmer als auch für die Versicherer weitreichende Folgen haben könnte. Für die Betroffenen ist dies eine Chance, Verträge zu überdenken, die möglicherweise zu ihren Ungunsten gestaltet wurden. Doch für die Versicherungsbranche könnte dieses Urteil erhebliche finanzielle Einbußen bedeuten und das Vertrauen der Kunden weiter erschüttern.

Die wachsende Zahl der Überschuldungsfälle aufgrund von Krankheit und Sucht zeigt auf dramatische Weise, wie eng Gesundheit und finanzielle Stabilität miteinander verknüpft sind. Präventive Maßnahmen und eine bessere soziale Absicherung könnten helfen, diese Menschen aufzufangen, bevor sie in die Schuldenfalle geraten. Gleichzeitig bleibt der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ein ungelöstes Problem, trotz der jüngsten Honorarerhöhungen. Auch wenn die Vertragsärzte von der Anhebung profitieren, bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahmen langfristig ausreichen, um den wachsenden Herausforderungen im ambulanten Sektor gerecht zu werden.

Die anhaltenden Lieferengpässe bei Medikamenten sind ein Symptom für die strukturellen Probleme im Gesundheitssystem. Hier sind nicht nur Apotheken, sondern auch die Politik gefordert, langfristige Lösungen zu finden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ebenso sollte die Schmerztherapie mit Vocacapsaicin weiter erforscht werden, um eine breitere Anwendung zu ermöglichen und die Abhängigkeit von opioidhaltigen Schmerzmitteln zu reduzieren. Es ist ermutigend zu sehen, dass Fortschritte in der Medizintechnik und Pharmazie gemacht werden, doch der Weg zu einer flächendeckenden Verbesserung der Versorgung ist noch weit.

Von Engin Günder, Fachjournalist

 

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