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Steuer & Recht |
FG Baden-Württemberg, Urteil 12 K 1295/20 vom 15.09.2022
Die Klägerin ist freiberuflich tätig und hatte im Streitjahr 2014 sowohl steuerpflichtige als auch steuerfreie Umsätze aus Vorträgen und Seminaren. Am 11.11.2014 kaufte sie sich einen neuen unternehmerisch genutzten Pkw (56.731,11 Euro netto zzgl. 10.778,91 Euro Umsatzsteuer), der ihr altes Fahrzeug ersetzte. Mindestens ab dem Jahr 2013 führte sie Fahrtenbücher. In der Umsatzsteuererklärung 2014 machte die Klägerin zunächst den vollen Vorsteuerbetrag aus der Anschaffung des Fahrzeugs geltend. Dem folgte das Finanzamt nach einer Außenprüfung nicht, sondern kürzte den Vorsteuerabzug um 30,49 %. Dies entsprach der vorsteuerschädlichen Nutzung ab dem 11.11.2014, während für das Gesamtjahr 2014 der schädliche Anteil nur 14,97 % betrug. Die hiergegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg.
Das FG gab der Klage teilweise statt. Die Klägerin sei nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) grundsätzlich zum Vorsteuerabzug aus der Anschaffung des Pkw berechtigt.
Die Vorsteuern aus der Anschaffung des Pkw seien jedoch nicht in voller Höhe abzugsfähig, da die Klägerin den Pkw zur Ausführung sowohl von steuerpflichtigen als auch von steuerfreien Umsätzen verwendet habe (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG). Da weder die Klägerin noch das FA eine sachgerechte Schätzung i. S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG vorgenommen hätten, nehme der Senat selbst eine Schätzung vor. Für die Aufteilung sei es sachgerecht, auf die Gesamtfahrleistung im Streitjahr abzustellen. Insofern sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits vor der Anschaffung des Pkw am 11.11.2014 einen anderen „funktionsgleichen“ Pkw für ihre unternehmerischen Fahrten verwendet habe. Hieraus ergebe sich ein Anteil von ca. 15 %, der auf Fahrten zu Vorträgen und Seminaren entfalle, für die ein Vorsteuerabzug ausgeschlossen sei. Insofern sei die Klägerin im Anschaffungszeitpunkt zunächst zum Vorsteuerabzug in Höhe von 9.162,07 Euro (85 % x 10.778,91 Euro) berechtigt gewesen.
Die vom FA vorgenommene Schätzung anhand der Fahrleistung vom 11.11.2014 bis zum 31.12.2014 sei nicht sachgerecht. Eine Schätzung auf Grundlage der Fahrleistung des Pkw führe in der Regel – und auch im Streitfall – zu einer „präziseren wirtschaftlichen Zurechnung“ als der Umsatzschlüssel i. S. des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG. Dies lasse sich bereits dem Wortlaut des § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG („verwendet“) entnehmen. Die „Verwendung“ eines Pkw lasse sich präziser durch dessen Laufleistung abbilden, die den Verschleiß und die Abnutzung des Pkw widerspiegeln. Ebenso lasse sich aus der Laufleistung auch die zeitliche Nutzung des Pkw für die Verwendung für die jeweiligen Umsätze herleiten. Die Umsätze könnten hingegen von anderen Faktoren abhängig sein und deren Höhe sei in der Regel unabhängig von der zurückgelegten Entfernung, sodass eine präzisere wirtschaftliche Zurechnung im Streitfall nicht über den Umsatzschlüssel erreicht werden könne.
Die konkrete Anwendung dieser Schätzungsmethode durch das FA allein auf Grundlage der Fahrleistungen vom 11.11.2014 bis zum 31.12.2014 sei nicht sachgerecht. Es sei bereits fraglich, ob ein solch kurzer Zeitraum zu einer ausreichenden Schätzungsgrundlage führen könne. Dieser würde nur dann zu einem sachgerechten Ergebnis führen, wenn in jedem Monat des gesamten Kalenderjahres eine in etwa identische Verwendung des Pkw stattfinden würde. Dies sei jedoch nicht der Fall. Insbesondere berücksichtige der Zeitraum keine (Semester-)Ferien, in denen die Klägerin in der Regel keine Vorträge und Seminare halte. Darüber hinaus hätten in dem vom FA berücksichtigten Zeitraum lediglich zwei Fahrten durch die Klägerin stattgefunden. Schließlich weiche der vom FA ermittelte Aufteilungsmaßstab mit 30,49 % auch deutlich von den sonstigen Jahren ab, in denen die Klägerin den Pkw lediglich zwischen 12,90 % und 25,78 % für Fahrten zu Vorträgen und Seminaren genutzt habe.
Jedenfalls habe das FA nicht berücksichtigt, dass die Klägerin bereits vor dem 11.11.2014 aufzuteilende Fahrten mit einem „funktionsgleichen“ Unternehmens-Pkw vorgenommen habe. Die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin sei über das gesamte Streitjahr gesehen gleichbleibend gewesen. Demgegenüber habe sie lediglich ihren Unternehmens-Pkw ausgetauscht, nutze diesen jedoch weiterhin wie bereits zuvor.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei der Aufteilungsmaßstab nicht deshalb zu modifizieren bzw. korrigieren, weil sie teilweise auf Vorträgen und Seminaren Fortbildungsnachweise erhalten habe, die für die Ausübung ihrer freiberuflichen Tätigkeit erforderlich gewesen seien. Insofern handele es sich lediglich um eine „mittelbare“ Stärkung ihrer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Tätigkeit.
Auf der Grundlage der Schätzung des Finanzgerichts könne die Klägerin aus der Anschaffung des Pkw zunächst Vorsteuer in Höhe von 9.162,07 Euro (85 % x 10.778,91 Euro) geltend machen. Im Streitjahr erfolge sodann noch eine Berichtigung der abziehbaren Vorsteuer gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, da der neu angeschaffte Pkw im Streitjahr tatsächlich nur zu 69,51 % zur Ausführung von steuerpflichtigen Umsätzen verwendet worden sei.
Komme es bereits im Kalenderjahr des ursprünglichen Vorsteuerabzugs zu einer von der ursprünglichen Verwendungsabsicht abweichenden tatsächlichen Verwendung, sei das Verhältnis von § 15 Abs. 4 UStG zu § 15a Abs. 1 UStG nicht abschließend geklärt. Insofern sei umstritten, ob die ursprüngliche Verwendungsabsicht und die tatsächliche Verwendung oder aber die tatsächliche Verwendung im Jahr des Leistungsbezugs und die tatsächliche Verwendung in den Folgejahren gegenüberzustellen seien.
Der Senat brauche den Streit – jedenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Streitfall – im Ergebnis nicht zu entscheiden. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG stelle auf „die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse“ ab. Diese richteten sich bei der Anschaffung des Pkw durch die Klägerin nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 UStG. Insofern liege dem ursprünglichen Vorsteuerabzug eine Aufteilung mittels sachgerechter Schätzung zugrunde, die ihrerseits wiederum die tatsächlichen Verhältnisse des gesamten Kalenderjahres 2014 berücksichtige. Wegen der Besonderheit, dass die Klägerin im Jahr der Anschaffung des Pkw bereits zuvor einen anderen „funktionsgleichen“ Pkw für die gleichen Umsätze genutzt habe, sei für die „den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse“ daher auf die „tatsächliche Verwendung“ – sowohl des alten als auch des neuen Pkw – im gesamten Kalenderjahr abzustellen. Für die „tatsächliche Verwendung“ ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung i. S. des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG sei demgegenüber ausschließlich auf den neu angeschafften Pkw abzustellen. Daher könne es jedenfalls in Fällen, bei denen – wie im Streitfall – ein bereits vorhandenes Wirtschaftsgut durch ein funktionsgleiches ausgetauscht wird, zu einem Nebeneinander der Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG und § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG kommen.
Der ursprüngliche Vorsteuerabzug in Höhe von 9.162,07 Euro bzw. – pro Monat des Berichtigungszeitraums – in Höhe von 152,70 Euro (9.162,07 Euro / 60 Monate) sei daher auf Grund der tatsächlichen Verwendung vom 11.11.2014 bis 31.12.2014 nur in Höhe von 124,87 Euro ((69,51 % x 10.778,91 Euro) / 60 Monate) pro Monat zulässig. Die Vorsteuer sei daher in Höhe der Differenz zwischen 305,40 Euro (152,70 Euro x 2 Monate, vgl. § 45 der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung) und 249,75 Euro (124,87 Euro x 2 Monate), mithin in Höhe von 55,65 Euro gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, zu berichtigen. Im Streitjahr könne die Klägerin aus der Anschaffung des Pkw somit insgesamt Vorsteuer in Höhe von 9.106,42 Euro abziehen.
Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg Newsletter 1/2023
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