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Steuer & Recht |
Die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreien Einkünfte unterliegen keinem Progressionsvorbehalt, wenn sich ihre – weitergehende – Steuerfreiheit im Inland aus nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünften ergibt (hier: § 3 Nr. 6 EStG).
Die Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 6 EStG findet auch bei der Invaliditätsentschädigung eines Wehrdienst- bzw. Kriegsgeschädigten aus öffentlichen Mitteln eines Drittstaates Anwendung.
Die Kläger sind für das Streitjahr 2020 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger hatte den Streitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) angehört und war im Einsatz körperlich schwerstgeschädigt worden und ist seitdem behindert. Auf Grund seiner Beeinträchtigungen bezog der Kläger auch im Streitjahr von der US-Bundesregierung, eine Invaliditätsentschädigung (disability compensation), die in der Einkommensteuererklärung als nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA (DBA USA) steuerfreie sonstige Einkünfte angegeben waren. Das beklagte Finanzamt (FA) berücksichtigte bei der Berechnung des Steuersatzes die steuerfreien sonstigen Einkünfte des Klägers nach dem Progressionsvorbehalt gem. § 32b Einkommensteuergesetz (EStG). Hiergegen machten die Kläger geltend, der Progressionsvorbehalt sei nicht anwendbar, weil dem § 3 Nr. 6 EStG entgegenstehe. Die erhaltenen Zahlungen seien mit den in § 3 Nr. 6 EStG genannten Bezügen vergleichbar, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften aus öffentlichen Mitteln versorgungshalber an Wehrdienst- und Kriegsbeschädigte bezahlt werden. Das sei auch bei Zahlungen eines Drittstaates (USA) der Fall. Das FA ist der Auffassung, dass nur Bezüge aus der Kasse eines EU-Mitgliedstaates von § 3 Nr. 6 EStG erfasst würden.
Das Finanzgericht folgte der Auffassung der Kläger und gab der Klage statt.
Gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sei auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (§ 32b Abs. 2 EStG), wenn der Steuerpflichtige Einkünfte bezogen habe, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei seien. Allerdings enthalte § 32b EStG keinen allgemeinen Progressionsvorbehalt in dem Sinne, dass sämtliche steuerfreien Einkünfte und Bezüge darunterfielen. Vielmehr beschränke sich der Anwendungsbereich von § 32b EStG nur auf die darin aufgeführten, besonderen Steuerfreiheiten. Mithin sei und bleibe eine bezogene Leistung insgesamt steuerfrei und unterliege auch nicht dem Progressionsvorbehalt, wenn sich ihre – weitergehende – Steuerfreiheit z. B. aus § 3 EStG ergebe. Dies gelte auch für die Steuerfreiheit von Bezügen gemäß § 3 Nr. 6 EStG.
Gemäß § 3 Nr. 6 Satz 1 EStG seien Bezüge steuerfrei, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften aus öffentlichen Mitteln versorgungshalber an Wehrdienstbeschädigte, im Freiwilligen Wehrdienst Beschädigte, Zivildienstbeschädigte und im Bundesfreiwilligendienst Beschädigte oder ihre Hinterbliebenen, Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene und ihnen gleichgestellte Personen gezahlt würden, soweit es sich nicht um Bezüge handle, die auf Grund der Dienstzeit gewährt würden. Dabei greife die vollständige Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 6 EStG insbesondere auch dann ein, wenn die Leistung nicht aus inländischen, sondern aus ausländischen Mitteln, d. h. aus öffentlichen Mitteln irgendeines Staates bezogen wird. Der Wortlaut der Norm sei weit gefasst und spreche allgemein von „aus öffentlichen Mitteln“, ohne die Quelle der Mittel einzuschränken. Auch aus der Gesetzessystematik ergebe sich keine Einschränkung. Ferner lasse sich den § 3 Nr. 6 EStG zugrundeliegenden Gesetzgebungsmaterialien eine dahingehende Einschränkung ebenso wenig entnehmen.
Schließlich sei auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift keine solche Einschränkung geboten. Denn die ratio legis von § 3 Nr. 6 EStG als Sozialzwecknorm bestehe darin, dass sich zwar die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mit den erhaltenen Bezügen an sich erhöht habe, aber diese gemäß den zugrundeliegenden sozialrechtlichen Bestimmungen einem speziellen Versorgungsbedürfnis des Steuerpflichtigen geschuldet und die Bezüge dieses abzudecken bestimmt seien. Diese Zielrichtung mit Blick auf den Versorgungscharakter spreche dafür, dass der Herkunft der Mittel keine erhebliche Bedeutung zukomme, solange es sich um öffentliche handele.
Die dem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Kläger gewährten Bezüge unterfielen dem § 3 Nr. 6 EStG. Die Invaliditätsentschädigung sei dem Kläger vom Staat (den USA) auf der Grundlage bundesrechtlicher Vorschriften, dem U.S. Code, Title 38, Chapter 11, und damit aufgrund gesetzlicher Vorschriften gewährt worden. Die Entschädigung sei demnach versorgungshalber gewährt worden, nämlich nur um der besonderen versorgungsrechtlichen Situation des Klägers infolge einer im Dienst erlittenen erheblichen Schädigung Rechnung zu tragen. Der Kläger sei als Dienstgeschädigter einem (Bundes-) Wehrdienstgeschädigtem vergleichbar; von Letzterem unterscheidet sich der Kläger nur insofern, als er nicht Angehöriger der deutschen, sondern der US-amerikanischen Streitkräfte gewesen sei. Dass schließlich die streitgegenständlichen Bezüge nicht aus inländischen oder EU-ausländischen Mitteln, sondern aus öffentlichen Mitteln eines Drittstaats (USA) stammten, stehe einer Anwendung von § 3 Nr. 6 EStG aus den oben genannten Gründen nicht entgegen.
Urteil 9 K 2651/21 vom 09.05.2022 (nrkr - BFH-Az.: I R 22/22)
Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 3/2022
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