Versandrecht und Landesliste, BGH-Vorgaben und OLG-Prüfung, Präsenzpflicht und Marktordnung
Der jüngste Hinweisbeschluss aus Karlsruhe verlagert das Verfahren auf eine heikle Vorfrage: Ob ein niederländischer Versender Waren überhaupt rechtmäßig nach Deutschland liefern darf, ist nach Auffassung des I. Zivilsenats nun zentral zu klären. Die Rückverweisung an das Oberlandesgericht Düsseldorf öffnet damit den Blick auf § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG, also das Verbringungsverbot mit eng umrissenen Ausnahmen. Streitentscheidend ist, ob am Versandstandort die geforderte Präsenzstruktur existiert, die das Gesetz und die vom Bundesgesundheitsministerium geführte Länderliste voraussetzen. Der Versender interpretiert die Karlsruher Schritte als rein prozessual, doch in der Begründung steckt materielles Gewicht. Denn wenn die Grundvoraussetzung des zulässigen Grenzverkehrs fehlt, verlieren nachgelagerte Preis- und Wettbewerbsfragen schlagartig an Bedeutung.
Im Zentrum steht die Länderliste des BMG, die seit 2011 als Referenz für „vergleichbare Sicherheitsstandards“ herangezogen wird. Kritiker monieren, dass diese Liste seit dem Jahr 2011 nicht fortgeschrieben wurde, obwohl sich der Rahmen mit E-Rezept-Einführung, Fälschungsschutz-Regime und digitalen Prüfpfaden deutlich verändert hat. Die Karlsruher Richter betonen, dass die Liste keine carte blanche sei, sondern an Voraussetzungen gebunden bleibe, namentlich an das Erfordernis einer Präsenzstruktur am Ort der Versendeeinheit. Genau hier liegt der Dissens zur Auslegung einer „Grenzapotheke“, die in der Vorinstanz milder bewertet worden war. Das OLG Düsseldorf muss nun Tatsachen ermitteln: Welche Betriebseinheiten bestehen real, wie sind Genehmigungslagen und Aufsichten dokumentiert, und wie passt dies zur Ausnahmestruktur des § 73 AMG. Ohne belastbare Feststellungen bleibt jede Pauschalbehauptung über Zulässigkeit ein Risikoanker.
Prozessual birgt die Konstellation mehrere Konsequenzen. Erstens verschiebt sich die Darlegungslast: Wer sich auf eine Ausnahme zum Verbringungsverbot beruft, muss die tatbestandlichen Voraussetzungen präzise belegen. Zweitens gewinnt die unionsrechtliche Flanke an Kontur, denn Binnenmarkt-Freiheiten kollidieren nicht mit gesundheitsbezogenen Schutzklauseln, solange letztere verhältnismäßig und nichtdiskriminierend sind. Drittens werden Aufsichtsfragen grenzüberschreitend: Nationale Behörden stützen sich zwar auf ausländische Genehmigungen, bleiben aber für die inländische Verkehrsfähigkeit und Kennzeichnung verantwortlich. In der Praxis bedeutet das, dass Zertifikate, Inspektionsberichte und organisatorische Pläne nachprüfbar vorliegen müssen, statt sich auf allgemeine Hinweise zu stützen. Gerade weil der Streit aus einem Schadensersatzkomplex erwachsen ist, kann die materielle Vorfrage zur Weichenstellung für mehrere anhängige Verfahren werden.
Politisch-regulatorisch rückt die Aktualität der Länderliste erneut in den Fokus. Seit 2011 hat sich nicht nur die Technik verändert, sondern auch die Compliance-Architektur mit serialisierten Packungen, TI-Anbindungen und neuen Sanktionsmechanismen. Eine Liste, die faktisch seit vierzehn Jahren unverändert ist, trägt die Gegenwart nur begrenzt. Es geht dabei weniger um eine Marktbarriere als um Rechtsklarheit: Welche Mindeststandards an Präsenz, IT-Sicherheit, Beratungspfaden und Reklamationsbearbeitung sollen bei grenznahen Modellen gelten, die Verbraucher in Deutschland bedienen. Ein sauber definiertes Update-Verfahren, belastbare Audit-Intervalle und eine transparente Dokumentationspflicht würden den Vollzug erleichtern. Wer Rechtssicherheit will, braucht überprüfbare Kriterien und keine stillen Duldungen. Das Verfahren vor dem OLG Düsseldorf kann so zum Katalysator für eine überfällige Revision der Verwaltungspraxis werden.
Kommunikativ wählt der Versender die Linie der Entdramatisierung und verweist auf Genehmigungen und Aufsicht im Herkunftsland. Juristisch trägt diese Argumentation nur dann, wenn sie deckungsgleich mit den Anforderungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG und den korrespondierenden Verwaltungshinweisen ist. Der Unterschied zwischen „genehmigt im Ausland“ und „zulässig im Binnenvertrieb nach deutschem Recht“ ist mehr als semantisch. Für Marktakteure entsteht bis zur OLG-Klärung ein Zwischenzustand: Strategien, die auf grenznaher Logistik und digitalen Bestellpfaden beruhen, müssen rechtlich belastbar unterfüttert werden, um keinen Folgerisiken ausgesetzt zu sein. Nach der Entscheidung in Düsseldorf wird klarer sein, ob die jetzige Praxis als rechtskonform bestätigt, nachgeschärft oder in Teilen neu aufgestellt werden muss. Bis dahin bleibt der Kern des Karlsruher Signals bestehen: Ohne Präsenz- und Sicherheitsnachweis keine belastbare Ausnahme vom Verbringungsverbot.
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