Apothekenrettung als Ultramarathon, Realismus statt Reflexe, PTA-Vertretung und Verantwortung
Es ist die Saison nüchterner Worte. In Mecklenburg-Vorpommern zeichnete Markus Oelze in dieser Woche das Bild eines langen Laufs, bei dem Zuversicht nicht vom Startschuss kommt, sondern von Etappendisziplin. Vor dem Auftritt der Bundesgesundheitsministerin beim Deutschen Apothekertag im September 2025 war die Hoffnung greifbar, doch danach dominierten Zweifel an Versprechen, die im politischen Betrieb zu oft an Formulierungen scheitern. Oelze ordnete die Lage ohne Pathos: Gespräche, Kulissen und Kameras retten keine Offizin, wenn am Ende nur das zählt, was im Gesetz und in der Verordnung steht. Dieser Realismus ist unbequem, aber er schützt vor Übersteuerung durch Stimmungen und vor der Versuchung, die eigene Lage in Schlagworte zu gießen. Wer Versorgung sichern will, braucht Geduld, Zahlen und die Bereitschaft, jede Passage eines Entwurfs zu Ende zu denken, bevor sie in der Praxis aufschlägt.
Im Mittelpunkt der Debatte steht die Idee einer zeitweisen Vertretung der Apothekenleitung durch fortgebildete PTA. Oelze formulierte den Einwand aus dem Alltag heraus: Ein pharmazeutisches Problem kennt keine Uhrzeit, und es verliert nicht an Komplexität, nur weil der Kalender „Urlaubsvertretung“ sagt. Genau hier liegt der Kern des Vorbehalts, den auch Juristen der Standesvertretung betonen: Leitung ist kein Schichttitel, sie ist ein Haftungsraum, der sich aus Approbation, Verantwortung und Aufsicht zusammensetzt. Die bekannte Zahl von mindestens 650 Stunden Zusatzqualifizierung markiert einen Aufwand, sie ersetzt aber nicht das Studium und nicht die Befugnisse, die der Gesetzgeber an die Approbation knüpft. Wer diese Schwelle absenkt, verschiebt nicht nur Zuständigkeiten, sondern auch Erwartungshaltungen der Patienten, und am Ende die Lastverteilung im Haftungsgefüge. Das ist nicht als Misstrauen gegenüber PTA zu lesen, sondern als Anerkennung ihres Werts im Team bei klaren Grenzen der Leitungspflicht.
Gleichzeitig ist der Ruf nach struktureller Stärkung der Apotheken kein Ritual, sondern eine Reaktion auf jahrelang aufgelaufene Spannungen. Das Festzuschlagsniveau, seit über einem Jahrzehnt ohne systemgerechte Anpassung, trifft in der Offizin auf steigende Fixkosten, mehr Dokumentationsaufgaben und eine wachsende Zahl von Beratungssituationen, die deutlich über das hinausgehen, was noch 2012 üblich war. Wer in dieser Lage nur auf künftige Verhandlungsmechanismen verweist, verschiebt die Entlastung in jene Phase, in der mancher Standort sie nicht mehr erlebt. Die politische Antwort darauf kann nicht allein in Signalprojekten liegen, die kurzfristig gut aussehen, aber langfristig die Statik nicht tragen. Die Erfahrung lehrt, dass Versorgungssicherheit immer dann leidet, wenn Finanzierungsinstrumente Kompensation versprechen, ohne den Grundpfeiler zu stabilisieren. Ein Marathon verlangt Verpflegungspunkte, nicht nur Applaus am Streckenrand.
Die Besonderheit der aktuellen Gemengelage ist die Gleichzeitigkeit: Gesetzgebungsprozess, Verbändeanhörungen, öffentliche Kommunikation und ökonomischer Druck im Betrieb fallen zusammen. Oelze wählte deshalb den doppelten Imperativ des Maßhaltens: keine Fundamentalopposition, aber auch keine kosmetische Zustimmung. Das ist klug, weil es Spielräume im Verfahren offenhält und dennoch die rote Linie markiert, hinter der die Berufsrolle aufgeweicht würde. Dazu gehört, dass die Aufwertung von PTA ernst gemeint sein sollte, jedoch nicht als Ersatzhandlung für nicht gelöste Strukturprobleme missbraucht werden darf. Dazu gehört auch, dass Land- und Stadtlagen differenziert betrachtet werden, ohne die Gleichpreisigkeit oder die Apothekenleitung als Variable zu behandeln. Wer die Versorgung in Breite erhalten will, darf die Ausnahme nicht zur Regel erklären, nur weil sie kurzfristig flexibel aussieht.
Am Ende bleibt das Bild des Ultralaufs als hilfreiche Metapher. Ein solcher Lauf gewinnt sich nicht in der ersten Stunde, sondern in der Phase, in der die Strecke einsam wird und die eigenen Routinen tragen müssen. Für Apotheken bedeutet das, intern Stabilität zu organisieren, Prozesse zu schärfen, Nachwuchs zu binden und gleichzeitig nach außen klar zu benennen, wo Regelungen stärken und wo sie schwächen. Es bedeutet auch, politische Angebote auf ihre Alltagstauglichkeit hin zu prüfen und Nebeneffekte ehrlich zu benennen, bevor sie sich als dauerhafte Belastung festschreiben. Oelzes Rede taugt als Erinnerung, dass Ernsthaftigkeit keine Trockenheit sein muss: Sie ist der Ton, in dem Vertrauen aufgebaut wird, wenn Versprechen zirkulieren und Geduld knapp ist. Wer so denkt, verliert nicht die Kraft zum Protest, aber er setzt sie gezielt ein. Und er bleibt anschlussfähig, wenn aus den Entwürfen Gesetzestext wird und aus Paragrafen gelebte Verantwortung.
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