Die Verhandlungslösung klingt nach Partnerschaft auf Augenhöhe, doch der Einstieg zeigt, wie asymmetrisch die Ausgangslage ist: Der Kassenverband fordert für künftige Honorarrunden eine umfassende Datengrundlage zur wirtschaftlichen Lage der Betriebe, am liebsten so granular, dass regionale, strukturelle und betriebsgrößenabhängige Unterschiede sichtbar werden. Damit entstünde ein Transparenzregime, in dem jede Forderung nach einem einheitlichen Fixbetrag sofort mit Verweisen auf besonders ertragreiche Einheiten gekontert werden könnte. Zusätzlich verweist der Verband auf das schiere Mengengerüst: Bei rund 640 Millionen Packungen im Jahr würde schon ein einziger Euro Erhöhung wegen Umsatzsteuer und Mitzieheffekten dreistellige Millionenlasten auslösen. Aus der Sicht der Beitragssatzstabilität erscheint das plausibel, aber es verschiebt die Debatte weg von Versorgungsnotwendigkeiten hin zu rein fiskalischen Stellschrauben. Mit jedem weiteren Datenbit wächst der Hebel, nicht den Bedarf zu finanzieren, sondern die Auszahlung zu differenzieren und einzuschränken.
Das Konzept der gestaffelten Vergütung nach Umsatz- und Strukturklassen ist der zweite Drehpunkt. Offiziell geht es darum, über Skaleneffekte nicht alle gleich zu alimentieren; in der Praxis öffnet die Staffelung ein Feld für politische Priorisierungen. Wer als groß und effizient gilt, fällt in die Abschmelzzone, wer als ländlich und klein gilt, müsste definitorisch zweifelsfrei erfassbar sein. Genau diese Definition stellt der Verband jedoch in Frage, indem er geobasierte Kriterien und einen spezifischen Mehrbedarf bezweifelt. So entsteht ein Paradox: Es soll differenziert werden, ohne die Differenzierungskriterien belastbar anzuerkennen. Für die Versorgung bedeutet das Unsicherheit in der Planung, weil Investitionen, Personalentscheidungen und Öffnungszeiten an künftige, unklare Einstufungen gekoppelt wären. Ein gestaffeltes System kann zielgenau helfen, es kann aber ebenso Pfadabhängigkeiten schaffen, in denen Betriebe zwischen Schwellenwerten taktieren und am Ende weniger Stabilität entsteht.
Parallel schiebt der Verband ordnungspolitische Argumente gegen Rabatte und Skonti nach vorn. Offiziell stören solche Preisnachlässe den intendierten Wettbewerb und unterlaufen die Preislogik der Arzneimittelpreisverordnung, inoffiziell sind sie ein Ventil, um reale Kostensteigerungen abzufedern. Wenn diese Ventile politisch geschlossen werden, muss die Grundvergütung systematisch die Funktion übernehmen, sonst reißt die Decke an anderer Stelle. Gleichzeitig werden pharmazeutische Dienstleistungen als Nischenthema deklariert, deren Evidenz und Abrufquote eine Ausweitung nicht rechtfertige. Das blendet aus, dass jede neue Dienstleistung Anlaufzeiten, Schulungszyklen und Abrechnungsroutine braucht, bevor sie skaliert. Wird der Topf umgewidmet, um Notdienste aufzupolstern, entsteht zwar kurzfristig Luft, aber die ursprünglich intendierte Weiterentwicklung der Versorgung rutscht nach hinten. So verfestigt sich ein Bild, in dem Zusatzaufgaben kommunikativ gewünscht, finanziell aber auf Verschiebebahnhöfen rangiert werden.
Die Forderung nach „gläsernen“ Strukturen hat noch eine zweite Ebene: Verhandlungsmacht folgt Information. Wer die Kennzahlenhoheit besitzt, diktiert den Takt, verweist auf Medianwerte, streicht Ausreißer und formt daraus Orientierungsgrößen, an denen sich die Gegenseite abarbeiten muss. Für eine echte Partnerschaft bräuchte es deshalb einen neutralen Datentreuhänder mit klaren Schutzmechanismen, der Branchengeheimnisse wahrt, Auswertungsebenen begrenzt und die Verwendung zweckbindet. Andernfalls droht ein Slalom durch Prüfaufträge, Nachlieferungen und Methodendebatten, der Zeit frisst und den Fokus von der Frage „Was kostet gute, verlässliche Versorgung?“ auf „Welche Excel passt ins Zielkorridor?“ verschiebt. Bemerkenswert ist zudem der Ruf nach staatlicher Ahndung bei Preisverstößen: Hier soll der Staat harte Kante zeigen, während in der Honorarfrage Selbstverwaltung und Verhandlung die Lösung bringen sollen. Diese Rollenverteilung wirkt nur dann stimmig, wenn beide Seiten die gleichen Maßstäbe an Transparenz, Evidenz und Durchsetzung anlegen.
Schließlich steht über allem die Indexfrage. Ein Mechanismus, der die Grundvergütung an Kostenrealitäten koppelt, braucht einen Korb, der Personal, Mieten, Energie, IT, Compliance und Sicherheitsanforderungen abbildet, statt pauschal am Verbraucherpreisindex zu hängen. Ohne solchen Korb verfehlt die Automatik ihren Zweck und wird zur Scheinkorrektur, die in Hochinflationsphasen zu spät kommt und in Ruhephasen zu wenig nachsteuert. Übergangsweise ließe sich eine Kombination aus moderatem Grundanstieg, klar definierter Indexierung und befristeten Strukturzuschlägen denken, die an überprüfbare Versorgungsindikatoren geknüpft sind. Entscheidend wäre, dass jede Bedingung messbar, revisionsfest und frei von nachträglicher Umdeutung bleibt. Erst dann entsteht die Verlässlichkeit, die Investitionen rechtfertigt und Personal bindet. Andernfalls bleibt die Verhandlungslösung ein Versprechen auf Prozess statt ein Fortschritt in der Sache.
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