Verbände im Stresstest, Apothekenreform unter Beschuss, Versorgungssicherheit als Prüfstein
Die Verbändeanhörung zur Apothekenreform geriet zum Marathon und machte sichtbar, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderliegen. Fünf Stunden Debatte bündelten eine Konfliktlage zwischen Finanzierung, Strukturfragen und Patientennähe, die ein Zwei-Stunden-Slot nie hätte tragen können. Das Bundesgesundheitsministerium hörte eine ungewöhnlich dichte Mischung aus ökonomischen, rechtlichen und versorgungspolitischen Einwänden. Im Zentrum standen das Grundhonorar, die geplante Verhandlungslösung und die Frage, wie viel Flexibilität Apotheken ohne Risiko für Sicherheit und Gleichpreisigkeit leisten können. Der Ton blieb überwiegend sachlich, doch die Linien verhärteten sich an neuralgischen Punkten wie Landzuschlägen, Telepharmazie und Abgaberegeln ohne ärztliche Verordnung.
Ökonomisch dreht sich die Diskussion weiter um die Basisfinanzierung als Fundament jeder Reformwirkung. Verbände verknüpften die Akzeptanz neuer Aufgaben explizit mit einer tragfähigen Grundvergütung, die steigende Personalkosten, Tarifpfade und Inflation realistisch abbildet. Die vorgeschlagene Verhandlungslösung mit dem GKV-Spitzenverband gilt vielen als unzureichend, solange harte Anker fehlen und Beitragssatzargumente als dauerhafte Bremse wirken. Gefordert wurden objektive Korridore für Anpassungen, die sich an Lohnindizes, Verbraucherpreisen und branchenspezifischen Kosten orientieren. Ohne ein verlässliches Fundament, so der Tenor, blieben Strukturideen Papiertiger und würden in der Fläche nicht tragen.
Strukturell prallten zwei Verständnisse von Modernisierung aufeinander: Digitalisierung als Hebel für Erreichbarkeit einerseits und Schutz bewährter Sicherungsmechanismen andererseits. Telepharmazie, pDL-Vergütung, ePA-Zugänge und Notdienstlogiken wurden als Chancen zur Entlastung und Steuerung beschrieben. Gleichzeitig war die Sorge greifbar, dass ein zu weites Öffnen von Abgabe- und Prozessregeln Kontrollarchitekturen aushöhlt. Debattiert wurden Landapotheken-Zuschläge, Zweigstellenkonzepte, Kühlkettenanforderungen im Botendienst und die Rolle des Versandhandels in Versorgungslücken. Die Gleichpreisigkeit blieb als ordnungspolitischer Eckstein präsent, weil sie unerwünschte Selektionsanreize auf Kassen- und Leistungsseite begrenzen soll.
Rechtlich rückten Planbarkeit und Streitvermeidung in den Fokus. Vertreter warnten vor unklaren Zuständigkeiten bei grenzüberschreitender Aufsicht des Versandhandels und verwiesen auf Vollzugsdefizite, die jeden neuen Paragraphen entwerten. Bei Nullretaxationen verlangten mehrere Stimmen einen verhältnismäßigen Rahmen, der Formfehler nicht mit Totalverlust sanktioniert und Betrugsfälle klar von Alltagspannen trennt. Für Rezepturen wurde betont, dass anteilige Packungspreise die Versorgung empfindlicher Patientengruppen schwächen könnten, wenn Herstellrisiken und Vorhaltekosten nicht sachgerecht abgebildet sind. Insgesamt kristallisierte sich der Wunsch nach klaren Definitionen und Haftungsgrenzen heraus, damit Investitionen und Personalentscheidungen nicht auf juristischem Treibsand stehen.
Versorgungspolitisch blieb die Leitfrage unverändert: Wie lässt sich wohnortnahe Arzneimittelsicherheit mit knappen Ressourcen stabilisieren, ohne die Apotheken in Widersprüche zu treiben? Befürworter eines erweiterten Kompetenzprofils sehen Apotheken als niedrigschwellige Navigationspunkte für Prävention, Selfcare und akute Bedarfslagen. Kritiker mahnten, jede Ausweitung müsse mit überprüfbaren Qualitätsstandards, Dokumentationspfaden und honorarischer Logik unterlegt werden. Notdienst, Heim- und Kliniknähe sowie die Einbindung in Akutleitstellen wurden als Stellschrauben beschrieben, die nur im Verbund mit digitaler Steuerung und klaren Verträgen wirken. Einigkeit bestand darin, dass Fragmentierung der Rollenbilder neue Reibungsverluste erzeugt.
Am Ende dieser langen Anhörung stehen keine schnellen Siege, aber ein präziseres Bild der Sollbruchstellen. Die Reform trägt nur, wenn Finanzierung, Aufsicht und Prozesslogik miteinander verzahnt werden und wenn Innovationsfenster nicht als Einfallstore für Fehlanreize dienen. Ohne belastbare Grundvergütung, eindeutige Definitionslagen und eine praktikable Digitalarchitektur bleiben viele Vorschläge politisch attraktiv, operativ jedoch fragil. Die nächsten Fassungen des Entwurfs werden daran gemessen, ob sie Unsicherheiten abbauen, statt sie zu verlagern, und ob sie Apotheken die Luft verschaffen, Verantwortung tatsächlich zu tragen. Genau daran entscheidet sich, ob aus fünf Stunden Anhörung ein tragfähiger Kompromiss oder ein weiteres Jahr administrativer Zirkulation wird.
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