Arglist deckt Vertragsklauseln, Käuferrechte gewinnen Kontur, Immobilienpraxis braucht Sorgfalt
Der Kauf gebrauchter Immobilien lebt von Vertrauen – in Exposé, Zustand und die Redlichkeit der Vertragsparteien. Im vorliegenden Fall aus Neustadt an der Weinstraße trifft diese Erwartung auf harte Anker: Ein als „kernsaniert“ beworbenes Wohnhaus wechselte für deutlich über 600 000 Euro den Eigentümer, gleichzeitig lagen für eine Außentreppe und eine Terrasse weder eine belastbare Genehmigung noch eine klare Grundstückssituation vor. Nach der Übergabe verlangte die Verwaltung den Rückbau, weil Bauteile auf ein Nachbargrundstück ragten; parallel ergab ein Elektrikerbefund, dass die Elektroinstallation dem Stand der 1990er-Jahre entsprach und gerade nicht neuwertig war. Die Käuferin focht den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an und erklärte hilfsweise den Rücktritt. Der formelhafte Sachmängel-Haftungsausschluss aus dem notariellen Kaufvertrag stand damit juristisch auf dem Prüfstand, denn bei Arglist greift er nicht.
Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) bewertete die Gesamtlage mit Urteil vom 01.10.2025 (Az. 6 O 259/24) zugunsten der Käuferin: Maßgeblich war, dass die Verkäuferin den Genehmigungskonflikt nachweislich kannte – belegt durch ein Telefonat mit der Verwaltung vor Vertragsschluss – und ihn gleichwohl verschwieg. Zugleich wurde das Objekt öffentlich als „liebevoll kernsaniert“ angepriesen; solche Exposé-Aussagen sind nach ständiger Rechtsprechung zurechenbare Verkäufererklärungen. „Kernsaniert“ weckt beim durchschnittlichen Erwerber die Erwartung eines nahezu neuwertigen Zustands zentraler Gewerke, insbesondere Elektro, Sanitär und Hülle. Wenn die Leitungen jedoch noch den technischen Stand der 1990er abbilden, entsteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen Ankündigung und Realität. Diese Doppelkonstellation – bewusstes Weglassen relevanter Informationen plus verklärende Darstellung – begründete für die Kammer Arglist.
Rechtlich entscheidend ist der Mechanismus hinter dem häufig verwendeten Gewährleistungsausschluss: § 444 BGB schneidet die Berufung hierauf ab, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie übernommen hat. Arglist verlangt keinen „Beweis des bösen Willens“, sondern das wissentliche Vorenthalten aufklärungspflichtiger Umstände, die für die Kaufentscheidung typischerweise bedeutsam sind. Genehmigungsrisiken (Rückbauverfügung, Grenzüberbau) und tragende Qualitätsaussagen („kernsaniert“) zählen dazu, weil sie entweder die rechtliche Nutzbarkeit oder den wertbildenden Zustand unmittelbar betreffen. Die Kammer stellte deshalb die Wirksamkeit der Anfechtung fest; Folge ist die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht, also Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückübertragung des Eigentums. Dass die Verkäuferin die Sanierung selbst verantwortete, stärkte im Übrigen den Vorsatzvorwurf: Wer Werkverträge steuert und den Behördenkontakt führt, kennt die Tatsachenlage regelmäßig.
Für die Praxis ist bemerkenswert, wie Gerichte mit „Schönwörtern“ in Exposés umgehen. Anders als reine Werbefloskeln („charmant“, „gemütlich“) besitzen Begriffe wie „kernsaniert“, „umfassend modernisiert“ oder „neuwertige Elektrik“ objektivierbaren Gehalt. Stimmen sie nicht und liegen zugleich Anzeichen vor, dass die veräußernde Partei die Abweichung kannte oder billigend in Kauf nahm, entsteht ein Aufklärungsbedarf, der nicht durch allgemeine Vertragsklauseln neutralisiert werden kann. Dem Käufer obliegt zwar eine sorgfältige Besichtigung; dennoch muss er nicht mit genehmigungswidrigen Anbauten oder gravierend veralteten Hauptgewerken rechnen, wenn die Gegenseite das Gegenteil suggeriert. In Zahlen gegossen: Wo ein sechsstelliger Kaufpreis fließt und belastbare Befunde (Elektrikerprotokoll, Verwaltungsaufforderung) vorliegen, verschiebt sich die Beweislastdynamik faktisch zu Lasten des Verkäufers.
Offen ist, wie das Pfälzische Oberlandesgericht im anhängigen Berufungsverfahren die Beweisaufnahme würdigen wird; das LG-Urteil ist nicht rechtskräftig. Doch die Leitplanken sind klar: (1) Formelhafte Sachmängel-Ausschlüsse schützen nicht vor § 444 BGB, (2) genehmigungsrechtliche Risiken sind stets offenbarungspflichtig, sobald sie bekannt sind, und (3) objektive Qualitätsaussagen im Exposé wirken als Beschaffenheitsangaben, an denen sich der tatsächliche Zustand messen lassen muss. Für Käufer bedeutet dies, dass belastbare Anker – Datum der Behördenkommunikation, konkrete Mängelberichte, Rechnungen und Prüfprotokolle – den Weg zur Anfechtung ebnen. Für Verkäufer folgt daraus, dass Transparenz kein „nice to have“ ist, sondern ein rechtsverbindlicher Schutzschirm: Wer Zweifel offenlegt und Belege ordnet, minimiert Rückabwicklungsrisiken und Sekundärschäden. Schließlich zeigt der Fall, wie eng rechtliche und tatsächliche Sorgfalt verzahnt sind – von der Wortwahl im Exposé über den Umgang mit Grenzfragen bis hin zur Dokumentation technischer Gewerke.
Hauptmenü



