Apothekendichte sinkt im Norden, Finanzierung belastet Betriebe, Versorgung bleibt fragil
Schleswig-Holstein liefert ein anschauliches Bild für einen Trend, der längst bundesweit spürbar ist: Die Zahl der öffentlichen Apotheken schrumpft, die Wege werden länger, die Verantwortung verteilt sich auf weniger Schultern. Aus 737 Betrieben im Jahr 2009 sind 556 geworden, und die Entwicklung hat zuletzt Tempo aufgenommen, ohne dass die Versorgung bislang flächendeckend bricht. In Städten wie auf dem Land treffen die Effekte gleichermaßen, denn die Schließungen verlaufen „quer durch alle Betriebsgrößen“ und ohne Schonraum für bestimmte Lagen. Für Patientinnen und Patienten bedeutet das oft zusätzliche Fahrzeiten, für die verbleibenden Teams mehr Notdienste und eine höhere Grundlast im Alltag. Das System trägt, aber es trägt spürbar schwerer; die Reserve schrumpft, und die Toleranz für Störungen wird kleiner.
Ökonomisch hat sich die Statik verschoben: gestiegene Personal-, Sach- und Finanzierungskosten treffen auf seit Jahren eingefrorene Honorare. Wer Hochpreiser bevorratet, bindet sechsstellige Beträge und finanziert sie einen Monat oder länger vor, während Zinsen im hohen zweistelligen Bereich die Liquidität weiter belasten. Das Risiko liegt beim Inhaber, der privat haftet und zugleich investieren, digitalisieren und qualifizieren muss, obwohl die durchschnittlichen Betriebsergebnisse das Bild trüben. OTC kann den Druck nicht nennenswert abfedern, zumal seriöse Beratung häufig auch bedeutet, von wenig sinnvollen Käufen abzuraten. In dieser Gemengelage wird jeder Engpass, jede Retax und jeder TI-Ausfall zum Faktor, der über die Schwelle von „angestrengt“ zu „kritisch“ schieben kann.
Strukturell entstehen Kettenreaktionen: Schließt eine fachärztliche Praxis, verliert die spezialisierte Nachbarschaftsapotheke einen Teil ihrer Daseinsberechtigung; fällt die Apotheke, verliert die Praxis an Versorgungsnähe und Patienten an Komfort. In Orten mit nur zwei Standorten kann bereits der Verlust eines Hauses Taktung, Botendienst und Nachtversorgung aus der Balance bringen. Die Notdienstplanung fängt vieles ab, doch sie verteilt dieselbe Menge Nachtstunden auf immer weniger Köpfe und verschiebt damit Erschöpfung in die Fläche. Gleichzeitig wächst der Anteil komplexer Versorgungen – von Onkologie bis Diabetes –, die Zeit, Kompetenz und verlässliche Dokumentation verlangen. Online-Angebote setzen auf Preis und Bequemlichkeit, ersetzen jedoch nicht die sorgfältige Abklärung von Interaktionen oder individuellen Risiken am HV.
Als Gegenmittel gelten Flexibilisierung und Redundanz: Zweigapotheken können Distanzen überbrücken, wenn Prozesse, Qualitätsstandards und Verantwortlichkeiten über Verbünde hinweg identisch gelebt werden. Gemeinden erhalten als äußerste Notfallstufe die Option, Notapotheken einzurichten, tragen dann aber auch das wirtschaftliche Risiko – ein Instrument, das politisch Gewicht hat, operativ jedoch nur die Lücke provisorisch schließt. Beispiele aus der Inselversorgung zeigen, wie dünn das Netz werden kann, bevor Eingriffe greifen. Parallel braucht es reibungsarme Anschlussstellen: verlässliche TI-Dienste, eindeutige Abrechnungswege, klare Eskalation bei Lieferengpässen und austauschfähige Prozesse im Filialverbund. Jede Stelle, an der Medienbrüche entfallen, gibt Zeit zurück, die in Beratung und Sicherheit investiert werden kann.
Bleibt die Frage nach den Stellschrauben, die das Gefüge nachhaltig stabilisieren: Ein Fixum, das Kostenpfade realistischer abbildet; pDL, die nicht nur politisch erwünscht, sondern wirtschaftlich tragfähig sind; Nachwuchswege, die Verantwortung teilbar machen und Führung in Lebensmodelle integrieren. Die Zahlen zur Apothekendichte – 19 je 100.000 Einwohner im nördlichsten Flächenland, deutlich unter EU-Mittel – markieren nicht nur Statistik, sondern Erwartungsdruck an Politik und Selbstverwaltung. Wer Versorgungssicherheit für morgen will, muss heute Puffer finanzieren: Lager, Personal, Qualifikation und digitale Verlässlichkeit. Zwischen Anspruch und Alltag entscheidet am Ende, ob Teams ihre Energie in Patientenbegegnungen stecken können oder in Reibungsverluste. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Reformtexte den Betrieb erreichen oder ob Betriebe weiter auf Sicht fahren. Aus Trends werden Entscheidungen, aus Entscheidungen Wirkung – und aus Wirkung wieder Vertrauen, wenn sie im Alltag spürbar bleibt.