wachsen, bündeln, steuern
Die IKKen stellen eine unbequeme These in den Raum, sie halten eine pauschale Honorarerhöhung für den falschen Hebel und plädieren stattdessen für größere, effizientere Apotheken und eine aktiv gesteuerte Bedarfsplanung. Hinter dem Schlagwort steht mehr als Strukturkosmetik, gemeint ist eine Verschiebung von einem dichten, kleinteiligen Netz hin zu weniger, leistungsstärkeren Einheiten mit klar zugeschnittenen Versorgungsaufträgen. Für Apothekeninhaber bedeutet das, die eigene Position im künftigen Gefüge nüchtern zu bestimmen, nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch entlang von Wegezeiten, Patientenprofilen und den Anforderungen regionaler Leistungspartner.
Effizienzgewinne entstehen in Apotheken typischerweise über drei Kanäle, erstens durch Skalierung in Einkauf, Logistik und Automatisierung, zweitens durch Spezialisierung auf definierte Leistungsbündel, drittens durch Prozessdisziplin in Rezeptur, Abgabe und pharmazeutischen Dienstleistungen. Größere Einheiten können die Volatilität bei Engpässen besser puffern, Personal flexibler einsetzen, längere Öffnungszeiten abbilden und Investitionen in Robotik, Kommissionierautomaten und Temperaturüberwachung schneller amortisieren. Der Preis der Skalierung ist jedoch der wachsende Bedarf an Führungsfähigkeit, an stringenter Personalentwicklung und an messbarer Qualitätssicherung, denn nur wer variierende Teams über Schichten hinweg gleichbleibend steuert, übersetzt Größe in Verlässlichkeit.
Bedarfsplanung klingt technokratisch, ist aber gelebter Alltag, wenn sie ernst gemeint ist. Sie verlangt Karten, auf denen Morbidität, Demografie, ÖPNV, Arztpraxendichte und Pflegeinfrastruktur sichtbar werden, dazu Servicegrade, die nicht nur die Abgabequoten, sondern auch Beratungsqualität und Erreichbarkeit abbilden. Wer heute schon Botendienste strukturiert, Medikationsanalysen methodisch erbringt und mit Ärzten abgestimmte Substitutionspfade dokumentiert, liefert die Kennzahlen, die eine künftige Planung überzeugen können. Wer dagegen allein über das Argument der Nähe kommt, ohne Prozesse und Ergebnisse nachzuweisen, wird es schwerer haben, wenn die Diskussion auf evidenzbasierte Versorgung dreht.
Politisch heikel ist die Gießkannenfrage, die IKKen wollen Anreize umsteuern, die Branche verweist auf Unterdeckung im Grundhonorar und inflationsbedingte Kosten. Beide Perspektiven lassen sich verbinden, wenn das Fixum inflationsfest justiert wird, zugleich aber variable Komponenten gezielt dorthin fließen, wo messbare Versorgungsleistung erbracht wird, etwa bei pharmazeutischen Dienstleistungen, bei dokumentierten Interventionsfällen oder bei nachweislich verbesserten Adhärenzraten. Größere Apotheken können solche Leistungsnachweise skaliert liefern, kleinere können punkten, wenn sie in ihren Mikroregionen Versorgungslücken schließen, zum Beispiel mit qualitätsgesicherten Nacht und Notdiensten, mit Heim und Palliativversorgung oder mit Rezepturkompetenz, die über Standard hinausgeht.
Der Strukturtrend ist ohnehin da, Filialisierung nimmt zu, Nachfolgerinnen und Nachfolger suchen eher Teams als Alleingänge, die Investitionskosten steigen, die regulatorische Komplexität wächst. Die eigentliche Weichenstellung ist deshalb nicht die Größe um der Größe willen, sondern die Frage, welches Profil in welchem Einzugsgebiet den stärksten Patientennutzen stiftet. In Ballungsräumen kann die Spezialisierung auf chronische Indikationen, auf AMTS und eng verzahnte Medikationsprozesse die Bindung erhöhen, im ländlichen Raum bleibt Erreichbarkeit die Währung, hier zählen Öffnungszeiten, verlässlicher Botendienst, Telepharmazie und die Fähigkeit, Engpassmanagement pragmatisch zu lösen. Beide Modelle profitieren von geteilten Backbone Funktionen, von zentralisiertem Einkauf, standardisierten SOPs und auditierbarer Qualität.
Für die Praxis heißt das, jetzt drei Ebenen zu klären. Erstens die Standortstrategie, bleiben, wachsen, zusammengehen, filialisieren oder Verbünde bilden, jeweils mit harten Kriterien zu Laufkundschaft, Rezeptaufkommen, Kooperationsgrad mit Ärzten und Pflege, Engpassdruck und Personalmarkt. Zweitens die Prozessarchitektur, vom Wareneingang über Kommissionierung, Retax Prävention, Kühlkettenmonitoring und Rezeptur bis hin zu dokumentierten Beratungsstandards, die messbar sind und sich in Kennzahlen übersetzen lassen. Drittens das Leistungsportfolio, welche Dienstleistungen werden konsequent angeboten, wie werden sie patientenverständlich vermarktet und wie ist die Vergütung gesichert, inklusive Kassenverträgen, Selektivvereinbarungen und regionalen Pilotpfaden.
Risiken liegen dort, wo Strukturvorschläge pauschal verordnet werden. Eine zu harte Bedarfsplanung kann weiße Flecken schaffen, wenn Wegezeiten und Mobilität unterschätzt werden, sie kann auch Inhaberinnen und Inhaber ohne Übergang belasten, wenn Investitionen entwertet werden. Umgekehrt ist es riskant, an einer Struktur festzuhalten, die betriebswirtschaftlich nicht mehr trägt, denn Unterfinanzierung frisst Qualität, Personalbindung und Resilienz zuerst. Wer heute transparent Kosten und Leistungen dokumentiert, verschafft sich Gehör, wenn über regionale Versorgungsaufträge gesprochen wird. Wer außerdem aktiv in Netzwerke eintritt, Ärztenetze, Pflegeverbünde, Kommunen, positioniert sich als Partner, nicht als Kostenstelle.
Die Debatte um größere, effizientere Apotheken muss deshalb aus der Abwehrhaltung heraus, die Leitfrage lautet nicht, ob Größe gut ist, sondern welche Kombination aus Größe, Spezialisierung und Vernetzung die Versorgung vor Ort nachweislich verbessert. Dazu gehört, die eigene Apotheke wie eine Versorgungsplattform zu verstehen, mit klaren Prozessen, mit Daten, die Qualität belegen, und mit einem Team, das Führung erlebt und Verantwortung übernehmen kann. Dann wird aus dem „längst überfälligen Struktureffekt“ kein Schlagwort, sondern ein planbarer Entwicklungspfad, den Apotheken selbst mitgestalten.